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© Thilo Rückeis

Update

Stimmen ausgezählt: Anwohner lehnen Umbenennung der Treitschkestraße klar ab

Der Historiker Treitschke war Antisemit, und wird in Berlin dennoch öffentlich geehrt. Das hätte sich ändern können. Doch die Anwohner der Treitschkestraße haben nun gegen eine Umbenennung ihrer Straße gestimmt - und zwar mit einem sehr deutlichen Ergebnis.

Rund 300 Anwohner der Treitschkestraße haben abgestimmt, ob Heinrich von Treitschke,der antisemitische Historiker der Kaiserzeit, bleiben darf, auf dem Straßenschild in Steglitz und in den Stadtplänen Berlins, oder ob er abgeschraubt wird und in einer Asservatenkammer verschwindet. Nun ist das Ergebnis da, und es ist eindeutig: Mit 226 zu 64 Stimmen haben die Anwohner die Umbenennung abgelehnt, 15 Stimmen waren ungültig.

Nürnberg und Heidelberg haben schon den Daumen gesenkt über Treitschke, München und Karlsruhe halten noch an ihm fest - Berlin hat sich nun eingereiht. Viele Treitschkestraßen entstanden in der NS-Zeit, in Berlin wurde er schon 1906 aufs Schild gehoben. Von Treitschke stammt der Ausspruch: „Die Juden sind unser Unglück.“

In Steglitz-Zehlendorf konnte sich die Zählgemeinschaft aus CDU und Grünen jahrelang nicht über eine Umbenennung einig werden. Deshalb beschlossen die Bezirkspolitiker, die Entscheidung den Anrainern zu überlassen. Eigentlich hat die Bezirksverordnetenversammlung in diesen Dingen das Sagen. Viele Umbenennungen – wie zuletzt die Rudi-Dutschke-Straße in Kreuzberg – entfachen heftige Debatten um die Ehrwürdigkeit des zu Ehrenden und die bürokratischen Mühen der Adressänderung. In Steglitz-Zehlendorf hätte ein Sponsor zumindest einen Teil der Kosten übernehmen wollen.

Der nächste Kandidat für eine Umbenennung könnte Paul von Hindenburg sein, ebenfalls in Steglitz. Am Hindenburgdamm gibt es bereits eine Bürgerinitiative, allerdings kämpft sie für die Einführung von Tempo 30. Hindenburg war bislang kein Thema, sagt Anwohnerin Ramona Bienlein, aber sie könne sich eine Umbenennung durchaus vorstellen, vielleicht zu Ehren Willy Brandts. In der Schule in Bayern habe sie Hindenburg noch als „tollen alten General“ kennengelernt, inzwischen sehe sie ihn natürlich anders.

Die Ehrung durch Straßen- oder Platznamen erfolgt im Gegensatz zur Ehrenbürgerschaft posthum. Die Botschaft ist dabei vergleichbar: Erinnere dich! Verdiente Straßenbürger sind öffentlich deutlich präsenter als die 116 Berliner Ehrenbürger, von denen nur rund die Hälfte einen Platz in der Porträtgalerie im Abgeordnetenhaus erhalten hat.

Ehrenbürgerlisten sind Ausdruck des politischen Zeitgeistes - und damit Änderungen unterworfen

Nummer 57 auf der Berliner Ehrenbürgerliste ist Max Liebermann, der Maler, der das Kotzen kriegte, als er die SA durchs Brandenburger Tor marschieren sah. Nummer 58: Paul von Hindenburg, der „Steigbügelhalter Hitlers“ und „Totengräber der Weimarer Republik“ – so sehen ihn viele Historiker. Ehrenbürger haben sich „in hervorragender Weise um Berlin verdient gemacht“, heißt es in der Präambel. Im Fall von Hindenburg darf das mit Recht bezweifelt werden.

In Potsdam hat die Fraktion „Die Andere“ vor kurzem gefordert, Hindenburg die Ehrenbürgerschaft der Stadt zu entziehen. Ein ähnlich lautender Antrag war 2003 im Stadtparlament gescheitert. Jetzt stehen die Chancen besser.

In Berlin versuchten die Grünen ebenfalls 2003, Hindenburg am Zeug zu flicken. Doch SPD, CDU und FDP stellten sich im Kulturausschuss dagegen, und nach leidenschaftlicher Debatte im Abgeordnetenhaus war das Anliegen vom Tisch. Zwar würde man Hindenburg heute nicht mehr aufnehmen, aber für eine Aberkennung reiche seine historische Negativbilanz nicht aus, argumentierte die SPD. Die Ehrenbürgerleiste sei eben auch ein historisches Dokument. Nur wenn „die Aufrechterhaltung der Ehrenbürgerschaft heute schlechthin unerträglich wäre, wie beispielsweise im Fall Adolf Hitlers“, solle man sie aberkennen.

Die grüne Landesvorsitzende Bettina Jarasch sieht derzeit keine „Dynamik“ in der Hindenburg-Debatte, will deshalb auch keinen erneuten Anlauf machen. Man reagiere allenfalls auf lokale Initiativen wie im Fall Treitschkestraße.

Ehrenbürgerlisten und Straßennamen sind Ausdruck des politischen Zeitgeistes und damit Änderungen unterworfen. Erster Ehrenbürger Berlins wurde 1813 der Geistliche Conrad Gottlieb Ribbeck. Hindenburg kam 1933 auf die Liste, zeitgleich mit Hitler, ein Jahr später erhielten Göring und Goebbels den Titel. 1948 wurde die Liste entnazifiziert, doch Hindenburg durfte bleiben. Bei der Wiedervereinigung der beiden Stadthälften 1992 schafften es die meisten Ehrenbürger Ost-Berlins nicht in die Gesamtberliner Liste. Danach wurde nur noch im Fall Bersarin korrigiert, der erste sowjetische Stadtkommandant Berlins wurde erst mit zehnjähriger Verspätung aufgenommen.

Nach Angaben der Berliner Geschichtswerkstatt wurden in der Nazizeit 120 Berliner Straßen neu benannt. Dieses Erbe ist bis heute nicht vollständig aufgearbeitet. Der „Seebergsteig“ in Wilmersdorf, benannt nach dem antisemitischen Priester Reinhold Seeberg, ist inzwischen gelöscht. Im Fliegerviertel in Tempelhof, dessen Taufpate Hermann Göring war, finden sich weiterhin viele Kampfpiloten aus dem 1. Weltkrieg, darunter der „Rote Baron“, Manfred von Richthofen. Umbenennungspläne, die kurz nach Kriegsende aufgekommen waren, wurden nicht weiterverfolgt.

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