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Zehn von Millionen: Seit 2015 erinnern zehn Stolpersteine vor dem Bundestag an die jüdischen Mieter, die einst am Schiffbauerdamm 29 lebten.

© Achim Melde/Bundestag

Stolpersteine vor dem Bundestag: Die Vertriebenen aus dem Regierungsviertel

Da, wo heute das deutsche Parlament sitzt, am Spreeufer, wohnten einst Juden. Sie wurden vertrieben und getötet. Am Samstag wird ihrer gedacht.

Von Laura Hofmann

Ruth Hirsch war 20 Jahre alt, als sie ihr Zuhause verlor. Da war sie schon seit einem Jahr Zwangsarbeiterin der Firma Siemens & Halske. Ihre Arbeitsstätte waren die Werner-Werke in Spandau, ihr Wochenlohn: 20 Reichsmark. Im Februar 1941 musste die junge Frau ihre Wohnung am Schiffbauerdamm 29 verlassen.

Weil Generalbauinspektor Albert Speer hier seine „Große Halle“ bauen wollte, Teil der neuen Hauptstadt „Germania“, für deren Bau die gesamten Gebäude nördlich der Spree abgerissen werden sollten. Dazu kam es nicht, letztendlich zerstörte der durch die Nazis begonnene Zweite Weltkrieg das Haus im März 1944. Da war Ruth Hirsch vermutlich schon tot. Ermordet in Auschwitz, weil sie Jüdin war.

Heute steht dort, wo sie mit ihren Adoptiveltern Willy und Rosalie Hirsch und drei Untermietparteien lebte, das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, das zum Bundestag gehört. Zehn Stolpersteine erinnern seit 2015 an die Schicksale seiner jüdischen Bewohner und ihrer Angehörigen.

Eine von Millionen: Ein Stolperstein vor dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus erinnert an Ruth Hirsch.
Eine von Millionen: Ein Stolperstein vor dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus erinnert an Ruth Hirsch.

© OTFW

An Ruth Hirsch (Jg. 1921), ihren Zwillingsbruder Abraham A. Hirsch (1921–1944), ihre Eltern Willy und Rosalie (Jg. 1880 bzw. 1879, deportiert 1942, ermordet im Vernichtungslager Sobibór), an Ella Horowitz (1886–1943), Jacob Tichauer (1894–1940), seinen Bruder Max Tichauer (1897–1943) und seine Frau Else (1902–1943), an Jenny Schwersenski (1874–1939) und ihren Mann Martin (1879–1942).

Zum 81. Jahrestag der Reichspogromnacht 1938, welche den Übergang von einer Diskriminierung von Juden hin zu ihrer systematischen Verfolgung markierte, lädt der Bundestagsmitarbeiter Stefan Klein alle Interessierten zu einer Gedenkfeier ein: am Samstag, 9. November, um 11 Uhr bei den Stolpersteinen, am Spreeufer vor dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus.

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„Die Geschichte der Bewohner des Hauses Schiffbauerdamm 29 steht exemplarisch für die Lebenswege vieler Juden in Berlin“, sagt die Historikerin Susanne Willems, welche die Biografien der Bewohner und Speers Wohnungsmarktpolitik für den Berliner Hauptstadtbau recherchiert hat und die bei der Gedenkfeier sprechen wird.

Die Räumung nur dieses einen Hauses bedeutete für jüdische Mieter in 26 anderen Mietshäusern die Wohnungslosigkeit

„Für ihren erzwungenen Wohnungsverlust und die systematische Verelendung vor ihrer Deportation.“ Denn die jüdischen Mieter mussten gucken, wo sie blieben, während die anderen 28 Mietparteien des Hauses sich alternative, von Juden bewohnte Wohnungen, aussuchen durften. So bedeutete die Räumung nur dieses einen Hauses am Schiffbauerdamm für jüdische Mieter in 26 verschiedenen Mietshäusern in acht Bezirken die Wohnungslosigkeit.

Ruth Hirsch kam mit ihren Eltern am 13. März 1941 bei der Musiklehrerin Ernestine Hannemann in der Friedrichstraße 52/53 unter. Sie teilten sich ein Zimmer im dritten Stock. Als ihre Eltern im Juni 1942 deportiert wurden, musste sie sich wieder ein neues Quartier bei Juden in Berlin suchen und wurde von Else und Johanna Baden in der Linienstraße 111 aufgenommen.

Ihr letzter Unterschlupf war die Rathenower Straße 8. Am 3. Februar 1943 wurde Ruth mit vielen anderen Juden nach Auschwitz deportiert.

Oft sagte sie, so erinnerte sich die Zeitzeugin und Historikerin Marie Jalowicz Simon: „Wie schön wäre das doch, wenn man normalen Lohn und nicht diesen reduzierten Judenlohn bekäme und richtig lernen, die Gesellenprüfung machen und Dreherin werden könnte.“

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