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Berlin: Strafzettel gab es trotzdem

Kitas, Bürgerämter und Büchereien waren im Ausstand, doch Notdienste halfen den Berlinern über den Tag

Die neongelben Streikwesten und die roten Fahnen leuchteten auf dem Wittenbergplatz. Rund 6 000 Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst waren es laut Gewerkschaft, die sich hier am Morgen zum Warnstreik versammelt haben. Am Arbeitskampf beteiligten sich auch Mitarbeiter des Einzelhandels. Bei der gestrigen Aktion wollten die Beschäftigten der Kitas, Büchereien, Schwimmbäder, Bezirksämter sowie der Polizei ihre Forderungen klarmachen: Zahlungen von dreimal 300 Euro sowie eine Lohnerhöhung von 2,9 Prozent. Der Senat lehnt dies wegen des gültigen Tarifvertrages ab.

Laut wurde es um kurz nach 11 Uhr vor der Britischen Botschaft: Rund 140 Angestellte der Polizei und 150 Mitarbeiter der Ordnungsämter fanden sich dort zu einer „spontanen Versammlung“ ein. Sie durften streiken. Nicht so ihre 111 Kollegen, die wegen der Vereinbarung über „Notdienste“ zum Dienst verpflichtet wurden. Für alle Streikenden übernahmen so lange Beamte den Schutz der gefährdeten Objekte. „Wir stehen bei Wind und Wetter und im Schichtsystem vor den schützenswerten Gebäuden – und das für 1300 Euro netto: Das ist einfach zu wenig“, schimpft einer der Protestler. Von der Botschaft zogen die Protestierenden zu Fuß am Großen Stern vorbei bis zum Wittenbergplatz. Im „Streiklokal“ im DGB-Haus in der nahen Keithstraße gab’s dann Erbsensuppe mit Würstchen.

tabu

Michaela Rauch wollte lieber auf Nummer sicher gehen. Zwar hatte sie morgens im Radio vom Warnstreik erfahren, aber riskieren wollte sie nichts. „Ich parke nur eine halbe Stunde hier, da sind mir 15 Euro Strafe zu teuer.“ Sie gehe davon aus, dass auf der Oranienburger Straße kontrolliert werde. „Irgendjemand schleicht hier doch immer herum“, sagte Rauch. Sie sollte recht behalten. Um die Ecke am Hackeschen Markt verteilten zwei Mitarbeiterinnen des Ordnungsamts Strafzettel. Davon hatten sie um 9.45 Uhr bereits eine Menge vergeben. „Wir waren fleißig.“ Laut dem zuständigen Stadtrat Joachim Zeller (CDU) erschienen zur Frühschicht 40 Prozent der Kontrolleure. Bei der sogenannten Kiezstreife streikten dagegen 80 Prozent der Mitarbeiter. Das Ordnungsamt Pankow meldete hingegen, dass nur drei der 16 Angestellten gestreikt hätten.

lwi

Gestern Morgen stand Ramona Strehler als Erste vor dem Bürgeramt Mitte. „Hier ist es immer voll und heute wird es noch länger dauern als sonst“, sagte sie. Statt der regulären 17 Mitarbeiter waren nur drei im Dienst, so Standortleiterin Ilona Kern. „Der Donnerstag ist unser Hauptsprechtag“, sagte sie. „Viele Berufstätige kommen in der Mittagspause vorbei.“ Sie rechnete mit vielen zusätzlichen Bürgern aus Friedrichshain-Kreuzberg, wo das Bürgeramt mit Ausnahme der Dokumentenausgabe geschlossen war. Dort wollte Philipp Kiesow einen Wohnberechtigungsschein beantragen. „Wenn die BVG streikt, kann man wenigstens laufen oder Fahrrad fahren“, sagte er. „Aber diese Sachen kann man nirgendwo anders erledigen.“ Grundsätzlich habe die Mehrheit der Friedrichshainer Verständnis für den Streik gezeigt, sagte die Pförtnerin Heide Jürgens. Nur wenige aufgebrachte Bürger hätten ihren Ärger geäußert.

lwi

Die Rollläden heruntergelassen, die Tür verschlossen – wie angekündigt waren die Mitarbeiterinnen der Kita „Regenbogen“ an der Ebersstraße in Schöneberg im Streik. Die Eltern wussten offenbar Bescheid; niemand versuchte, sein Kind abzugeben. Verlassen war auch die Kita in der Livländischen Straße in Wilmersdorf. In den Fenstern der Einrichtung nahe der Wilhelmsaue leuchteten rote GEW-Plakate: „Heute Warnstreik!“ Ein anderes Bild dagegen am Schöneberger Lassenpark. Ein Mann schob einen leeren Kinderwagen aus der Einfahrt zur Kita an der Hauptstraße. Hier lief der Betrieb regulär, jedenfalls fast. Zu den 44 angemeldeten Kindern kamen gestern noch drei aus der Ebersstraße hinzu. Noch etwas ist anders: Normalerweise liefert die Kita „Regenbogen“ den Kindern am Lassenpark das Mittagessen. Aber auch das Küchenpersonal streikte. Deshalb wurde am Lassenpark selbst gekocht. Nach Angaben der GEW hat sich mehr als die Hälfte der 284 Kita-Eigenbetriebe an dem Streik beteiligt.

cko

Im Bürgeramt Charlottenburg-Wilmersdorf am Hohenzollerndamm halten drei Beamtinnen einen Notdienst aufrecht. „Sonst sind wir hier an die 20 Leute“, sagt die Standortleiterin. Die Angestellten streiken – darunter die Kassiererin mit der Befugnis, bar zu kassieren. Gebühren können nur noch per EC-Karte gezahlt werden. Eine junge Frau hat keine Scheckkarte dabei und ist sichtlich frustriert, dass sie ihren Pass nicht beantragen kann. Senioren und Mütter mit Kindern werden bevorzugt bedient, es gibt aber ohnehin nur wenige Besucher. Notdienste wurden auch in den anderen Bürgerämtern der City-West organisiert.

CD

Auf dem Kurfürstendamm sind mittags weder Parkscheinkontrolleure noch Strafzettel an falsch geparkten Autos zu sehen. Viele Autofahrer haben ihre Wagen ohne Parkschein abgestellt. Auch Halteverbotsschilder werden ignoriert – das ist allerdings ein gewohntes Bild am Ku’damm. Laut Wirtschaftsstadtrat Marc Schulte (SPD) war das Ordnungsamt im Einsatz, aber nur mit zwei Dritteln des üblichen Personals. Bis zum Nachmittag wurden in ganz Charlottenburg-Wilmersdorf 800 Knöllchen verteilt.

CD

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