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Belebend? Oder zu viel des Guten? Fast ständig wird irgendwo in Berlin auf den Straßen gefeiert, wie hier das Myfest in Kreuzberg.

© dpa

Straßenfeste in Berlin: Unsere Feste sind unter Niveau!

Der CDU-Politiker Uwe Lehmann-Brauns plädiert gegen die Inflation von Straßenumzügen, Autokorsos und Partymeilen in Berlin. Hat er Recht? Diskutieren Sie mit!

Berlin versteckt sich. Beinah wöchentlich verschwinden Teile des Stadtgesichts unter Straßenfesten, Umzügen – Meilen, Partys, Präsentationen, jeweils begleitet von Musik aus dem Verstärker und Döner-Curry-Bockwurst-Alkohol-Trödel-Tinnef-Ständen. Als wäre die Stadt pur nicht genießbar, bedürfte der Vitalisierung durch allerlei Aufputz.

Auch Aufzüge gehören dazu. Über Stunden – teils ein ganzes Wochenende lang – hören und sehen wir Stafetten knatternder Biker, spiegeln uns in aufgeputzten Oldtimern, jeweils eingefasst von der oben beschriebenen Wegzehrung. Was Wunder, dass dies inzwischen drei Stadtbezirken über die Hutschnur geht, vielleicht weniger der Stadtästhetik wegen, als wegen des „day after“: Räumung, Wiederaufforstung der beanspruchten Natur- und Straßenlandschaft, Säuberung von Schmutz, Müll, Scherben, Plastikresten. Das kostet öffentliches Geld, von dem Unwillen der gestressten Anwohner und der Verkehrsteilnehmer ganz abgesehen, die weitere Sperren zu den ewigen Straßenbauarbeiten in Kauf nehmen müssen.

Der restriktiven Behandlung von neuen Anträgen jener Straßennutzung seitens der drei Bezirke Pankow, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg ist zuzustimmen. Die anderen neun Bezirksverwaltungen sollten dem Beispiel folgen. Zwar sind die Betreiber der Feste und Umzüge keine Unmenschen, sind besten Willens, allerdings ohne zu erkennen, dass ihre Veranstaltungen Minoritäts- und Kommerzinteressen, nicht aber der Gesamtstadt dienen und eher eigene Dekorationsbedürfnisse befriedigen. Ihnen ist nicht bewusst, dass sie die Oberfläche zwar beleben, aber unter Wert einer Stadt, die dadurch an Façon verliert. Gegen Weihnachtsmärkte, die nun bald wieder überall aufgebaut werden, ist nichts einzuwenden, sie sind auch Teil der Stadtkultur – aber muss zum Beispiel der Potsdamer Platz eine nässende Rodelbahn als Zugabe aushalten? Oder die Gedächtniskirche, ein Weltkriegsdenkmal, die Einfassung von Holzbuden mit Schnellimbiss-Angeboten?

Einzuräumen ist, dass es in diesem Land Städte, Gemeinden, Dörfer gibt, die sich durch Straßenfeste, Riesenräder, Jahrmarktbuden etwas Belebung, Abwechslung, mehr Wahrnehmung versprechen. Berlin bedarf dessen nicht – zu vielfältig und unübersehbar sind die zivilisatorischen und kulturellen Angebote für Bewohner und bald 25 Millionen Touristen im Jahr. Auch andere europäische Metropolen lassen jene verfremdenden Beanspruchungen nicht zu.

Aber München? Das dortige Oktoberfest verzeichnete neben beachtlichem Bier- und Fleischangebot (6,4 Mio. Liter, 114 geschlachtete Ochsen, 48 getötete Kälber), 3600 ärztlich versorgte Besucher, 638 Alkoholvergiftete, 2031 Polizeieinsätze, 58 Schlägereien, 16 Sexualdelikte.

Diese Ballermann-Statistik widerlegt nicht das Plädoyer für eine Stadtpolitik, die auf vergleichbare Zugaben und Aufputz verzichten kann. Hauptstadt sein heißt auch, ein urbanes Niveau halten und nicht unterschreiten.

Unser Gastautor Uwe Lehmann-Brauns gehört dem Abgeordnetenhaus mit einer Unterbrechung seit 1979 an. Der CDU-Politiker beschäftigt sich vor allem mit Kultur.

Uwe Lehmann-Brauns

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