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Eine der kleineren Bühnen.

© Björn Kietzmann

Straßentheater: Der Alexanderplatz brennt

Ein fulminantes Straßentheaterfestival verwandelt den Platz am Abend in ein Zauberdorf. Man muss bloß hinfinden.

Erster Gedanke: womöglich an der falschen Haltestelle ausgestiegen? Zweiter Gedanke: Wenn das tatsächlich der Alexanderplatz ist, wo kommen dann all die Leute her? Normalerweise gibt es keinen vernünftigen Grund, nach Sonnenuntergang hier zu verweilen, außer man hat sich mit Freunden an der Weltzeituhr verabredet und muss warten. In den Tagen des Festivals „Berlin lacht“ ist das anders: Da kann man vor lauter Menschen die Weltzeituhr nicht mehr sehen.

Eine Traube zum Beispiel hat sich um Roc-it versammelt. So nennt sich der großflächig tätowierte und ebenso großflächig schwitzende Künstler, der mit seinem Körper Dinge anstellt, die nicht gesund sein können: sich etwa einen Gummihandschuh über den Kopf ziehen und dann pusten, bis der platzt. Oder sich einen zehn Kilo schweren Anker per Kette an beide Ohrlöcher hängen und anschließend um die eigene Achse kreisen, bis der Anker schön auf Kopfhöhe zirkuliert. Sicher, der Mann ist ein Freak. Aber gewiss ein ziemlich netter. Der meistwiederholte Satz seiner Vorstellung wird die Warnung an Kinder im Publikum sein, das hier Gezeigte auf keinen Fall zu Hause nachzuahmen.

In seinem zehnten Jahr ist das Gratis-Straßentheaterfest „Berlin lacht“ inzwischen, die Zuschauergemeinde wächst stetig, und wer einmal vor Ort ist, versteht auch wieso. Eine solche Fülle an Feuerspuckern, Tänzern, Fakiren und anderen Artisten, vor allem aber beglückten Zuschauern, würde niemand vermuten, an diesem Ort schon mal gar nicht. Mitorganisator Michael Teichmann räumt ein, dass der Alexanderplatz an sich null Atmosphäre besitze. „Die bringen wir erst her.“ Beim Aufbau wurden die Straßenlampen mit bunter Folie beklebt, Pflanzenkübel aufgestellt. Holzbauten bieten die Hintergrundkulisse für Shows, die Hauptbühne erinnert an die Fassade der Bar „Titty Twister“ aus „From Dusk Till Dawn“.

Das Faszinierende: Durch die Freak-Attraktionen und das Gewusel gewinnen auch die beleuchteten Gebäude ringsherum. Die Kaufhäuser, das Park Inn, ja der Platz als Ganzes scheinen plötzlich wenigstens ein kleines bisschen liebenswert, und man fragt sich: Warum kann das eigentlich nicht immer so sein?

Eine nie dagewesene Elefantennummer?

Eine der kleineren Bühnen.
Eine der kleineren Bühnen.

© Björn Kietzmann

In der Platzmitte hat jemand kreisförmig bunte Schrottteile arrangiert. Aha, denkt man, das muss wohl Kunst sein, aber Teichmann klärt auf: Das sind alles recycelte Spielzeuge der Artistengruppe „Guixot de 8“, Geschicklichkeitsspiele mit Magneten und so. Tagsüber angeblich der Renner, auch unter Erwachsenen.

Drumherum gibt es zahlreiche Stände, die Bowle, Krimskrams oder auffallend hässliche Hüte verkaufen. Da die Stadt das Festival nicht unterstützt, sondern die Künstler im Gegenteil eine fünfstellige Summe für die Nutzung des Platzes aufbringen müssen, finanziert sich das Fest über „Bratwurstkultur“, sagt Teichmann. Alle Fressbuden und Händler zahlen Standgebühren, mit denen dann die Fahrtkosten der auftretenden Künstler erstattet werden, manche kommen aus Spanien, Italien oder Israel angereist. Auftrittswillige zu finden, sei nicht schwer, sagt Teichmann. Eine Show in Berlin mache sich halt gut in jeder Künstlervita.

Kurz vor Ende des Abends steht auf der winzigen Varieté-Bühne am Ostrand des Geländes noch ein Mann am Mikro, der sich als Alexander Platz vorstellt. Er verspricht eine spektakuläre, nie dagewesene Pudel- und Elefantennummer und dass als Höhepunkt der gesamte Alex geflutet werde. Am Ende erzählt er doch bloß ein paar Witze. Die sind aber auch ganz lustig, sollte man gehört haben.

Das Festival geht noch bis zum 18. August, täglich ab 11 Uhr. Mehr Infos und das Programmheft findet man auf www.berlin-lacht.de.

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