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Berlin: Streifen kommen in Mode

In Kreuzberg eröffnet heute die Boutique „Haeftling“. Die Kleidung wird im Knast genäht

Noch tobt im Laden das Chaos. Nur vereinzelt hängen Jacken, Hemden und Hosen auf den Bügeln, an bleichen Schaufensterpuppen. Aber das Schild über der Tür ist schon da. „Haeftling – Jailwear since 1898“. Kleidung aus dem Knast – das ist kein Marketing-Gag. Die Waren in dem Laden, der heute Mittag in Kreuzberg erstmals seine Türen öffnet, haben Sträflinge genäht.

Angefangen hat die Fertigung vor einem Jahr mit einem blauen Hemd mit weißen Streifen. Es gehört zum Arbeitsdress in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel, Europas größtem Männerknast. Die ersten Gefangenen nähten hier schon 1898.

Die Idee, die fertigen Stoffe flächendeckend zu vermarkten, hatte Stephan Bohle, der Inhaber einer Werbeagentur in Kreuzberg. Vergangenen Juli startete der Verkauf über das Internet. Von heute an soll der Verkaufsladen zusätzlichen Umsatz bringen.

Das Gefängnis in Tegel ist längst nur noch „eine Produktionsstätte unter vielen“, sagt Bohle, das blaue Arbeitshemd nur einer von nunmehr 80 Artikeln. Bohle führt das Geschäft professionell.

„Haeftling“ bringt eine Sommer- und eine Winterkollektion heraus, Schuhe, Taschen, Anzüge. Mittlerweile gibt es Stücke ganz unterschiedlichen Zuschnitts, viele in knalligen Farben. „Jedes Bundesland hat im Knast seine eigene Kleiderordnung“, erklärt der 38-Jährige. Alles authentische Schnitte – nur bei den Farben müsse man großzügiger sein als das, was im Knast erlaubt ist. Zwölf Anstalten liefern mittlerweile die Produkte, die unter dem Label „Haeftling“ verkauft werden. Aus der JVA Brandenburg an der Havel kommen Schürzen, Geschirrtücher und Pyjamas. „Knackis“ in Sachsen-Anhalt nähen Jeans, aus Bayern kommen Parkas und Feinripp-Unterwäsche. Noch ist die Mode von „Haeftling“ ausschließlich männlich – wie 90 Prozent der Insassen deutscher Gefängnisse. Doch bald soll ein Jeansrock aus einem Frauenknast in Bayern das Angebot erweitern.

Für Unterwäsche und T-Shirts 20 Euro, 80 Euro für einen Baumwoll-Anzug, bis zu 250 Euro für eine Ledertasche – „nicht billig, aber alles nahezu handgemacht“, versichert Bohle. Und schlicht, klassisch, „minimalistisch – das ist doch zurzeit der Trend.“

Bald schon will Bohle Läden in Italien, Schweden, Belgien und den USA eröffnen. Über den Umsatz schweigt er sich aus. Der größte Teil vom Erlös geht an die Gefängnisse. Und was die Insassen am meisten brauchen, ist ein Job. Die Arbeit ist gefragt: Insgesamt 250 Gefangene arbeiten in Deutschland und in der Schweiz für „Haeftling.“

Im Laden werden keine Freigänger, sondern zwei geschulte Verkäuferinnen arbeiten. Dafür ist Bohle dann doch zu sehr Geschäftsmann. Kundenservice ist ihm wichtig, damit das Projekt weiter so gut läuft. Händler aus Japan und den USA haben angefragt, private Bestellungen kommen aus ganz Europa. Sogar Richter und Anwälte sind unter den Kunden.

Haeftling Store, Schlesische Straße 31, 10997 Berlin. Öffnungszeiten: Montag bis Samstag 12 bis 20 Uhr.

Thorsten Wiese

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