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„Berlin is over“, hieß es Anfang des Jahres über Berlins Clubszene. Die Feierverrückten sind noch da, nur eben beispielsweise in Lichtenberg. Ein Streifzug durch die Partyszene.

© dpa

Streifzug durch die Clubs von Berlin: Jetzt steigt die Party in Lichtenberg

„Berlin is over“, hieß es Anfang des Jahres über Berlins Clubszene. Doch wer sich umsieht, merkt schnell: Die Feierverrückten sind noch da, nur eben beispielsweise in Lichtenberg. Ein Streifzug durch die Partyszene.

Die letzten Sonnenstrahlen des Abends spiegeln sich in den Sonnenbrillen der jungen Menschen. Im sandbedeckten Außenbereich des Sisyphos-Clubs tanzen sie mit ruckartigen Bewegungen zum Rhythmus der Technomusik, wie sie derzeit in vielen Berliner Clubs zu hören ist. Einige Mädchen tragen nur einen kurzen Rock und Bikinioberteil und viele Männer sind am Oberkörper gänzlich unbekleidet. Einer schießt Glitzerstaub aus einer Plastikpistole in die Menge. Ein anderer balanciert eine Glaskugel auf seinen Armen, während am Rand der Tanzfläche ein Jongleur bunte Gummibälle durch die Luft wirft.

„Spielerisch-Ironisches“ nennt Thomas Scheele die Partys im Sisyphos an der Hauptstraße im Lichtenberger Ortsteil Rummelsburg. Er veranstaltet in Berlin diverse Technopartys wie etwa die But ’n’ Better. „Das Sisyphos hat 2009 mal als kleine improvisierte Open-Air-Party unter Freunden angefangen“, sagt der 26-Jährige, der in Frankfurt (Oder) Kulturmanagement studiert. „Die Party wurde dann immer größer, bis die Leute irgendwann einen Club draus gemacht haben“, sagt Scheele. Seit zwei Jahren ist die Party zum Club geworden. Das Sisyphos hatte nie jemand so geplant, wie es jetzt jedes Wochenende hunderte Technofans nach Lichtenberg zieht. Im Laufe der Jahre kam immer wieder da noch ein Lampenschirm dazu, dort noch ein von einem Freund gebastelter Paradiesvogel.

So sind viele Clubs in Berlin entstanden, wie auch einst die Bar 25, diese Spontaneität, das Entstehen eines Clubs aus dem Nichts heraus, ist eine der Eigenschaften, die die Berliner Clubszene weltweit berühmt gemacht haben. Doch was ist davon noch übrig?

Abgesang in der " New York Times"

Anfang des Jahres schrieben die „New York Times“ und der „Rolling Stone“, Berlins heiße Zeit sei vorbei. Kurz darauf verursachte Weekend-Chef Marcus Trojan Aufregung in der Szene nach dem Umbau seines Clubs am Alexanderplatz: Er setze auf Ü-40-Touristen, Berliner Studenten und Easyjetsetter seien nicht attraktiv als Kunden. Ist Berlin nun bald zu teuer, um noch hip zu sein?

Im Sisyphos war irgendwann das Geld da, um einen weitere Tanzfläche zu eröffnen, und die DJs hießen immer seltener „der Typ, den ich neulich kennengelernt habe“, sondern Sven Dohse oder Pilocka Krach und legen im Ausland auf. Diese Entwicklung ist in der Berliner Clubkultur nichts Ungewöhnliches.

Olaf Hilgenfeld macht gemeinsam mit einem Freund elektronische Musik „zwischen Techno, Jazz, House und Funk“, sagt er. Skinner Box nennt sich die Gruppe, mit der er schon in vielen europäischen Großstädten aufgetreten ist. Der 37-jährige Musiker sitzt zwischen Bildschirmen, Mischpulten und Tastaturen in seinem Studio am Oranienplatz und erzählt von den Anfängen der Bachstelzen, einem Kollektiv – Hilgenfeld sagt „Crew“ – von Berliner Partyveranstaltern, deren Feiern ähnlich bunt und verspielt sind wie im Sisyphos. Seit 2004 kennt er die Leute, die damals noch provisorische kleine Partys im Senatsreservenspeicher an der Oberbaumbrücke veranstalteten. Inzwischen betreiben die Bachstelzen den "Salon zur Wilden Renate", ein Club am Ostende der Stralauer Allee, der jedes Wochenende mehrere Tanzflächen beschallt. „Die Crews von damals sind sehr professionell geworden“, sagt er. „Wir spielen nicht mehr für ’nen Hunni beim Kumpel, sondern kriegen vorher eine Mail mit allen wichtigen Infos, werden vor Ort abgeholt und die Gage ist schon hinterlegt.“

Geht der kreative Geist des Berliner Feierlebens verloren, wenn Boxen, Mischpult, Verstärker nicht mehr wenige Stunden bevor die Bässe angehen herbeiimprovisiert werden, sondern die Leute zunehmend in etablierten Clubs tanzen, mit Notausgängen, Brandschutzvorrichtungen und Barkeepern, die Lohnsteuer zahlen?

Eine Besonderheit im Berliner Nachtleben verschwindet

Legendär. Der Blick vom Kiki Blofeld auf die Stadt - ob's in Oberschöneweide auch so wird?
Legendär. Der Blick vom Kiki Blofeld auf die Stadt - ob's in Oberschöneweide auch so wird?

© Doris Spiekermann-Klaas

Partyveranstalter Thomas Scheele glaubt, dass eine Besonderheit des Berliner Nachtlebens gerade verschwindet. Bei spontanen Partys in Parks oder auf Brachflächen werde die Grenze zwischen Produzent und Konsument aufgehoben, sagt er. „Künstler wie Gäste entheben den Raum schon durch ihre Anwesenheit seiner normalen Nutzung und machen ihn zu einer Partylocation.“ In Clubs ist das Geschehen durch die Infrastruktur viel vorgegebener, als wenn Leute im Görlitzer Park batteriebetriebene Boxen anwerfen und jederzeit mit einem Abbruch ihrer Feier durch die Polizei rechnen müssen. Im Club weiß man, dass man am nächsten Wochenende wiederkommen kann, während man auf dem spontanen Open Air das Gefühl hat, Teil eines einzigartigen Augenblicks zu sein. „In dem Moment, wo du einen Club hast, hast du ein Wirtschaftsunternehmen und einen rechtlich fest definierten Raum“, sagt Scheele.

Werden die Clubs austauschbar?

Werden die Clubs also austauschbar, indem sie größer, gesetzter, erwachsener werden? Immerhin ist auch unter den etablierten Feierstätten viel in Bewegung. Yaam und Kiki Blofeld haben gerade erst neue Bleiben gefunden. Knaack und WMF, die Bar 25 gibt es inzwischen nicht mehr. Einige sprechen vom Clubsterben in Berlin.

Tawan Tehrani hat im vergangenen Dezember gemeinsam mit seinem Freund Felix Brandts den Avenue-Club im Keller des Café Moskau an der Karl-Marx-Allee eröffnet. Mit seiner Mischung aus Retro-Stil etwa bei den Lampenschirmen, der industriell anmutenden Bar aus Beton und auf Hochglanz polierten roten Boxen über der Tanzfläche sieht der Club sehr edel aus. Die beiden veranstalten seit Jahren die Reihe Butterfly Effect und haben zuvor schon das Department und den Rodeo Club betrieben. Ähnlich wie die Betreiber von Bar 25 und Kater Holzig zogen sie durch die Stadt, immer auf der Suche nach Locations, von denen sie wussten, dass sie ihre Clubs dort nur auf Zeit veranstalten könnten. Sie alle sind nun dauerhaft sesshaft geworden. Die einstigen Revolutionäre der Bar 25 bauen sich auf dem alten Gelände eine Utopie, ihr Nachfolgeclub Kater Holzig zieht dort mit ein. Schluss mit Übergangslösung.

Oliver Bartholomé hat im Mai dieses Jahres den Bang Bang Club wiedereröffnet, ein Indie-Rock-Laden, der bis 2010 unter der S-Bahn-Brücke am Hackeschen Markt beheimatet war. Nun ist er in die ehemaligen Räume des SchwuZ am Mehringdamm in Kreuzberg gezogen und ist besonders stolz auf die Backsteinwände und die rotlastige Inneneinrichtung. „Wie ein Wohnzimmer, das man seinen Freunden zeigen kann“, sagt er. Bartholomé glaubt noch immer an das kreative Potenzial Berlins. Und sieht dennoch Probleme für die Subkultur. „Ich bin gegen Investoren, die Häuser totsanieren und Leute verdrängen. Das betrifft oft Künstler, die nicht viel haben, aber eine Bereicherung sind“, sagt er, redet sich regelrecht in Rage.

Immer wieder gibt es Lärmbeschwerden

Glänzend. Berlins Clubszene verlagert sicht.
Glänzend. Berlins Clubszene verlagert sicht.

© Kai-Uwe Heinroch

Diese Probleme sieht auch Christian Goiny, der seit 2006 für die CDU im Abgeordnetenhaus sitzt. „Bei Clubs geht es nicht nur um Musik, sondern auch um bildende Künste, Performances, um Raum für Kreativität von jungen Leuten“, sagt er. Clubs seien außerdem wirtschaftlich für die Stadt wichtig, etwa weil sie die Lebensqualität Berlins gerade für Mitarbeiter in jungen Start-up-Unternehmen erhöhen. „Die Politik hat sich in den vergangenen 20 Jahren zu wenig gekümmert“, sagt er. „Wenn wir überall gegen Clubs entscheiden, verliert der Standort Berlin wirtschaftlich und sozial.“

Er hat sich erfolgreich für eine Änderung der Berliner Liegenschaftspolitik eingesetzt. „Jetzt können wir Grundstücke auch nach inhaltlicher Bewertung verkaufen oder vermieten und nicht nur nach dem Preis“, sagt der Politiker aus Zehlendorf. So konnte die Stadt etwa den Yaam-Betreibern für das neue Gelände an der Schillingbrücke eine bezahlbare Miete anbieten. Goiny kämpft außerdem für eine Änderung der Lärmschutzauflagen für Neubauten. Danach sollen Investoren, die Wohnungen an einen bestehenden Club heranbauen, für Schallschutz sorgen und nicht mehr der Club.

Die Räume werden weniger

Die Lärmbeschwerden sind auch für nachwachsende Kulturschaffende des Nachtlebens wie Thomas Scheele ein Problem. „Immer mehr Brachflächen werden zugebaut. Die Räume für kreative Partys werden enger und es gibt mehr Lärmbeschwerden“, sagt er. „Dadurch wird der Einstieg in die Clubszene schwieriger.“ Daher will sich Christian Goiny etwa um eine Vernetzung von Clubcommission, einem Interessenverband der Berliner Partyveranstalter, und Beamten in den Bezirksverwaltungen einsetzen. Auch hat die Clubcommission gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer Berlin einen Workshop für Open-Air-Betreiber veranstaltet, der die Teilnehmer über Umweltschutz, Lärmbelästigung und rechtliche Fragen rund um das Thema Open Air aufklären soll. Die Teilnehmer erhielten einen Veranstalterpass, der die freiwillige Verpflichtung enthält, Partys mit Rücksicht auf Anwohner und umweltbewusst zu gestalten. Goiny ist zuversichtlich, dass die Open-Air-Szene dadurch wieder mehr akzeptiert werden wird.

Daher sieht Olaf Hilgenfeld optimistisch in die Zukunft. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die junge Clubkultur eingeht“, sagt er. Es gebe noch immer viel Leerstand und sonst müsse man eben an den Stadtrand ausweichen, wie es das Sisyphos gemacht hat. „Wir haben hier gestern Musik gemacht, wir machen hier heute Musik und wir werden auch morgen in Berlin Musik machen“, sagt Hilgenfeld.

Auch Christian Goiny ist guter Dinge: „Wir als Politiker versuchen nur Bedingungen zu schaffen, damit die Leute möglichst so leben können, wie sie das wollen. Viele Berliner feiern offensichtlich gerne und solange die hier sind, wird es auch das Nachtleben geben.“

Die bunte Truppe im Sisyphos gibt ihm recht.

Philip Barnstorf

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