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Ist der Mietspiegel 2021 "qualifiziert" oder nicht? Die Vermieterverbände wollen ihn befolgen, aber nicht unterzeichnen.

© Christoph Soeder/dpa

Streit auf dem Wohnungsmarkt: Vermieter erkennen neuen Berliner Mietspiegel nicht an

Die „ortsüblichen Mieten“ in Berlin steigen nur um 1,1 Prozent. Das liegt aber lediglich an einer neuen Berechnung. Vermieterverbände erkennen sie nicht an.

Kaum ist der neue Mietspiegel 2021 für Berlin veröffentlicht, tobt wieder der Streit über dieses zur Befriedung des Wohnungsmarktes erdachte Instrument: Vermieter erkennen ihn nicht an. Wie berichtet, stieg der Spielraum für Mieterhöhungen durch die neue „ortsübliche Vergleichsmiete“ um durchschnittlich 1,1 Prozent. Dieses geringe Plus ergibt sich aus der erstmals in Berlin angewandten „Indexanpassung“ der Mieten – eine Spätfolge des vom Bundesverfassungsgericht für „nichtig“ erklärten Mietendeckels.

Der Mietspiegel gilt für rund 1,4 Millionen Wohnungen in Berlin und kann etwa zur Begründung von Mieterhöhungen herangezogen werden. Die neue Durchschnittsmiete beträgt 6,79 Euro je Quadratmeter – 1,1 Prozent mehr als die „ortsübliche Miete“ Jahren im Mietspiegel 2019 (6,72 Euro).

Der Zuwachs errechnet sich erstmals nicht durch die Veränderung von Mieten aktueller Verträge, sondern entspricht der Teuerungsrate in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren. Die Lebenshaltungskosten steigen indes seit Jahren langsamer als die Mieten. Das gilt auch für Berlin. Im letzten „regulären“ Mietspiegel 2019 waren die Mieten erheblich stärker gestiegen, um rund fünf Prozent.

Wegen des Streits darum, ob der Mietspiegel 2021 „qualifiziert“ ist oder nicht und wegen der Weigerung der Vermieter, ihn anzuerkennen, sagt der Chef des Berliner Mietervereins, Rainer Wild: „Wir rechnen mit vielen Mieterhöhungen, mit denen die Mietspiegelwerte überschritten werden sollen, und zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen.“

Laut dem vom Bundestag zum Sachverständigen für die Mietspiegelreform benannten Experten Steffen Sebastian genügt schon der Mietspiegel 2019 „aus statistischer Sicht nicht den eigentlich geforderten wissenschaftlichen Ansprüchen“, was der Senat bestreitet. Die Vermieterverbände wollen den neuen Mietspiegel 2021 nicht unterzeichnen.

Dier Vermieter lassen sich eine Hintertür offen

Dabei ist nach Auffassung des Senats und des Mietervereins der Mietspiegel 2021 eine rechtlich zulässige Fortschreibung des Mietspiegels 2019 auf Basis des vom Statistischen Bundesamt ermittelten Preisindex der Lebenshaltungskosten aller privaten Haushalte in Deutschland.

Zur offenen Konfrontation mit den Mietern riefen Vermieterverbände am Donnerstag nicht auf, im Gegenteil. „Ich empfehle allen Eigentümern, den Mietspiegel bestimmungsgemäß anzuwenden. Diesen rechtlich anzugreifen, hat wenig Sinn“, sagte der Chef des Vereins „Haus & Grund“, Carsten Brückner.

Ohne die ortsübliche Vergleichsmiete, die der Mietspiegel zeigt, könnten Erhöhungen nur über Gerichtsverfahren und teure Sachverständigengutachten durchgesetzt werden. Dennoch erkenne Haus & Grund „aus juristischen Gründen den Mietspiegel nicht als qualifizierten Mietspiegel an“.

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Ähnlich äußerte sich die Chefin des größten Wohnungsverband Berlins BBU, Maren Kern: „Aufgrund der eingeschränkten Erstellungsmöglichkeiten konnten wir den diesjährigen Mietspiegel nicht mitzeichnen.“ Dennoch biete „der jetzt vorgelegte Indexmietspiegel eine gute Grundlage für die rechtssichere Gestaltung der Mieten in Berlin“.

Kern geht davon aus, dass sich die rund 140 Berliner Mitgliedsunternehmen wie gewohnt an den Mietspiegel halten. Auch Berlins größter privater Vermieter, die Deutsche Wohnen, bekannte sich dazu – und sagte zu, „im laufenden Jahr keine Mieterhöhungen umzusetzen“.

[Lesen Sie mehr: Wohnungsmarkt in der Krise: Wieso immer mehr Berliner kein festes Zuhause haben (T+)]

Indem die Vermieter den neuen Mietspiegel nicht unterzeichnen, halten sie sich eine Hintertür offen. Wiederholt sind der Mietspiegel und sogar die bisher regulär erhobene ortsübliche Vergleichsmieten von Eigentümern vor Gericht angegriffen worden. In diesen Verfahren war mit Mängeln bei den Erhebungsmethoden argumentiert worden.

Der Senator für Wohnen, Sebastian Scheel (Linke), hält die Kritik am Mietspiegel für vorgeschoben. „Der Mietspiegel 2019 ist im Sinne und in der Logik des Bürgerlichen Gesetzbuches eine Neuerhebung und kann daher einmal fortgeschrieben werden.“ Die Mieten spiegelten die damalige Situation wider. Darauf aufbauend sei die Erstellung des Berliner Index-Mietspiegels 2021 als qualifizierter Mietspiegel möglich.

„Es kann nicht sein, dass die Vermieterverbände plötzlich abspringen“

Alternativlos war dieser Index-Mietspiegel 2021, weil in Berlin 2020 der Mietendeckel galt. Dieser legte am Wohnungsmarkt staatlich regulierte Grenzen fest; die so regulierten Mieten dürfen nicht in einen Mietspiegel einfließen. Deshalb gelten Mietspiegel auch nicht für Sozialwohnungen. Und deshalb durften die Mieten für den Mietspiegel 2021 nicht erhoben werden, sondern mussten analog zu den Preisen in Deutschland steigen

Wegen des Streits um die Gültigkeit des Mietspiegels forderte Mietervereinschef Wild den Senat dazu auf, Konsequenzen aus dem Verhalten der Vermieter zu ziehen: „Es kann nicht sein, dass die Vermieterverbände bis zur letzten Minute bei der Erstellung des Mietspiegels im Arbeitskreis zur Mietspiegelerstellung ihre Interessen durchzusetzen versuchen, dann aber doch abspringen.“ Künftig müsse der Senat bei der Einberufung des Arbeitskreises „einen Stichtag“ festlegen, bis zu dem über die Teilnahme an der Erstellung sowie die Anerkennung des späteren Mietspiegels entschieden wird.

Weitere Besonderheit des Mietspiegels 2021: Für neu gebaute Wohnungen der Jahre 2018 sowie 2019 verzeichnet dieser gar keine „ortsübliche Miete“. Das liegt daran, dass für den Mietspiegel keine Daten erhoben, sondern die Mieten von 2019 fortgeschrieben wurden. Damals waren diese Neubauten aber noch gar nicht am Markt. Deshalb sind deren Mieten nach oben hin offen.

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