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Werbung für das Leben. Mit einer Plakatkampagne wurde im Jahr 2007 in Berlin auf die umstrittenen Babyklappen aufmerksam gemacht.

© Uwe Steinert

Streit um anonyme Geburten: Berlin und Potsdam wollen Babyklappen behalten

Bundesministerin Schröder will anonyme Geburten verbieten und keine neuen Babyklappen mehr zulassen. Gesundheitspolitiker halten das für bedenklich. Vor allem aber fürchten sie um das Leben ungewollter Kinder.

Von Sandra Dassler

Die Pläne von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), anonyme Geburten und Babyklappen zu verbieten beziehungsweise einzuschränken, stoßen an Spree und Havel auf Widerstand. „Das wird in Berlin so nicht geschehen“, sagte Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) am Dienstag: „Wir haben gute Erfahrungen mit der Babyklappe gemacht, auch wenn man damit leider nicht jede Hilfe suchende Mutter erreichen kann. Aber die Berliner Hilfestruktur soll beibehalten werden."

Brandenburgs Gesundheitsministerin Anita Tack (Linke) ist zwar der Ansicht, dass Babyklappen und anonyme Geburten allein das Problem nicht lösen könnten. Sie sagt aber auch:„Grundsätzlich muss es möglich sein, dass Frauen in extremen Notsituationen ihr Kind anonym zur Welt bringen oder anonym abgeben können – als letztes Mittel.“ Wie berichtet sieht ein internes Arbeitspapier des Bundesfamilienministeriums vor, keine neuen Babyklappen mehr zuzulassen und anonyme Geburten zu verbieten. Stattdessen soll es eine so genannte vertrauliche Geburt geben, bei der die Mutter allerdings verpflichtet wird, persönliche Daten preiszugeben.

„Genau das möchten die betroffenen Frauen nicht“, sagt Gabriele Stangl. Sie hat im Jahr 2000 die erste Babyklappe an einer Klinik initiiert und betreut im Zehlendorfer Krankenhaus Waldfriede Frauen, die anonym gebären wollen. Weil sie dabei oft ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann, entschließen sich viele, ihre Identität doch preiszugeben. „Manche hinterlassen ihre Daten, damit ihr Kind oder die Adoptiveltern Kontakt aufnehmen können“, erzählt Gabriele Stangl. „Manche schreiben auch einen Brief, den das Kind später erhalten soll, in dem sie ihm erklären, warum sie glaubten, es nicht behalten zu können.“

Mit dem Verbot anonymer Geburten wolle man das Grundrecht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung sichern, heißt es im Bundesfamilienministerium. „Aber um dieses Grundrecht in Anspruch nehmen zu können, muss man erst einmal leben“, sagt Gabriele Stangl. Sie befürchtet, dass die Zahl der getöteten oder ausgesetzten und dadurch verstorbenen Kinder anwachsen wird, wenn es keine anonymen Geburten mehr gibt.

„Bei einer anonymen Geburt wird das Recht des Kindes auf Herkunft hintangestellt, das Recht auf körperliche Unversehrtheit von Mutter und Kind hat Vorrang“, sagt Brandenburgs Gesundheitsministerin Anita Tack – auch wenn bisher der Nachweis fehle, dass anonyme Geburten oder Babyklappen die Zahl der Tötung von Neugeborenen verringern oder verhindern können.

Zustimmung finden die Pläne der Bundesfamilienministerin, was eine einheitliche und rechtlich einwandfreie Verfahrensweise anbelangt. In der Vergangenheit war kritisiert worden, dass der Verbleib von in Babyklappen abgegebenen Kindern nicht nachvollzogen werden konnte. „Wir begrüßen, dass die Bundesministerin mehr Rechtssicherheit an dieser Stelle und die Regelungen klarer fassen will“, sagt Berlins Staatssekretärin für Jugend und Familie, Sigrid Klebba: „Da in Berlin die Babyklappen aber an Krankenhäusern und die Jugendämter in jedem Fall einbezogen sind, sehen wir derzeit keine Veranlassung, unsere vier Babyklappen infrage zu stellen."

Gabriele Stangl kann das nur unterstreichen. „Wir haben von Anfang an alles lückenlos dokumentiert“, sagt sie. „Haben stets mit Jugendamt und Adoptionsvermittlung zusammengearbeitet, bei uns ist kein Kind verschwunden, im Gegenteil: zu sehr vielen haben wir noch Kontakt.“

Etwa 20 Kinder sind seit 2001 in der Babyklappe Waldfrieden abgegeben worden, eins davon war zuvor getötet worden, alle anderen haben überlebt und es geht ihnen bei Adoptiv- oder Pflegeeltern gut. Ein kleiner Junge wurde von seinen leiblichen Eltern zurückgeholt – fünf Tage nachdem sie ihn abgelegt hatten. Von den rund 150 Frauen, die hier anonym gebären wollten, haben ein Drittel ihre Kinder dann doch behalten. 95 Prozent der übrigen Frauen hätten entgegen ihrer ursprünglichen Absicht ihre Namen und Daten hinterlassen, sagt Gabriele Stangl.

Insgesamt sind in Berlin in den vergangenen zehn Jahren 43 Kinder in Babyklappen abgegeben worden, im vergangenen Jahr waren es sechs, im Jahr zuvor nur eins. Die meisten Kinder, nämlich acht, wurden im Jahr 2002 gebracht.

In Brandenburg hat nur Potsdam eine Babyklappe. Dort wurden seit 2006 insgesamt acht Kinder abgegeben. Im übrigen Land gibt es diese Möglichkeit nicht. So scheiterte vor einigen Jahren unter anderem in Cottbus der Versuch, eine Babyklappe einzurichten. Auch in Frankfurt (Oder) gibt es keine Babyklappe, so dass sich manche Frauen aus Brandenburg, aber auch aus anderen Teilen Deutschlands, Hilfe suchend nach Berlin wenden.

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