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Kinderwagen unerwünscht. Ein Poller versperrt den Weg in die „Barn Roastery“.

© Thilo Rückeis

Update

Streit um Babys im Café: Stillen und Kinderwagen unerwünscht

Ein Cafébesitzer untersagt seiner Kundin, ihr Kind in seinem Laden zu stillen. Eine Online-Petition fordert rechtlichen Schutz. Das Ministerium bleibt vage.

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„Stillen an öffentlichen Orten soll bald verboten werden“ titelte ein Magazin am 1. April 2014. Was natürlich ein Aprilscherz war, ist ausgerechnet in Berlin offenbar nicht völlig abwegig. Diese Erfahrung machte jedenfalls Johanna Spanke, die am Wochenende eine Online-Petition gestartet hat, mit der sie Schutz für stillende Mütter in der Öffentlichkeit fordert. Auslöser für ihre Initiative waren die Erlebnisse in der „The Barn Roastery“ an der Schönhauser Allee, als sie dort mit ihrem Mann am Samstag einen Kaffee trinken wollte. Den kleinen, drei Monate alten Sohn hatten sie dabei.

Direkt beim Bestellen am Tresen wies eine Mitarbeiterin sofort ungefragt darauf hin, dass Stillen in dem Café unerwünscht sei. Dies wiederholte kurze Zeit später der Besitzer, den Spanke darauf ansprach, als ihr Baby Hunger zeigte. Er habe darauf verwiesen, dass es sich um einen gehobenen Laden handelt. Wenn sie jetzt gehen wollten, bräuchten sie den Kaffee auch nicht zu bezahlen.

Der Cafébesitzer erzählt die Geschichte am Mittwoch ein wenig anders. „Ich habe nichts dagegen, wenn Mütter ihre Kinder dezent im hinteren Teil des Cafés stillen“, sagt Ralf Rüller: „Aber am Samstag hat eine Frau ihre Brust direkt am Fenster freigelegt. Oder besser gesagt: Zur Schau gestellt. Alle konnten es sehen und einige haben sich beschwert. Da musste ich einschreiten.“ 2012 hat Rüller „The Barn Roastery“ eröffnet. Es ist eine Rösterei und ein bewusst hochpreisiges Café vor allem für Kaffee- und Espressospezialitäten. Ein Ort des Genusses, der Ruhe und der Begegnung soll es sein – deshalb sind laute Handygespräche ebenso unerwünscht wie lärmende Kinder.

Ein Hotel will keine Kinder mehr beherbergen

Diese wollen auch manche Hotels nicht mehr beherbergen. Das Wellness-Hotel Esplanade in Bad Saarow etwa hat sich im November vergangenen Jahres zum Erwachsenenhotel deklariert, wo Kinder und Jugendliche unter 16 Jahre keinen Zutritt haben. Auch Rüller hat damals kurz nach der Eröffnung Schlagzeilen produziert, weil er vor die Tür einen grauen Betonpoller stellte. Darauf war ein Aufkleber, der einen durchgestrichenen Kinderwagen zeigte. Er sei kein Kinderhasser, sagte Rüller, aber Kinderwagen stellten allein schon wegen der frei zugänglichen Röstmaschine ein Sicherheitsrisiko dar. Der Betonpoller steht immer noch dort, und Rüller kämpft weiter für seine Sicht der Dinge. „Unsere Gäste sollen den Kaffee, der ja nicht gerade billig ist, in Ruhe genießen können“, sagt er. „Nicht jeder ist begeistert, wenn jemand neben ihm die Brüste frei legt. Ich mach’ ja auch die Tür zu, wenn ich auf Toilette geh’.“

Nicht alle Mütter im kinderreichen Kiez finden das falsch. „Ich stille in der Öffentlichkeit, aber dezent, ich habe immer ein Tuch zum Abdecken dabei“, sagt eine Frau, die ihren kleinen Sohn auf der Schönhauser spazieren fährt.

Stillende Mütter, die sich in der Öffentlichkeit bewegen, müssen ihre Kinder irgendwo stillen. Oder sollen die jetzt 6 Monate lang zuhause hocken und nicht länger als 2-3 Stunden rausgehen dürfen? Darum geht es, nicht um das Zurschaustellen nackter Brüste.

schreibt NutzerIn wunschbenutzer

In Großbritannien stillten Tausende Frauen öffentlich aus Protest

Als im Frühjahr 2014 in Großbritannien eine in der Öffentlichkeit stillende Frau im Internet auf als „Schlampe“ bezeichnet wurde und diese dann über Facebook verbreitete, wie sie beschimpft worden war, wurden britische Mütter aktiv. Tausende verabredeten sich in mehreren Städten zum öffentlichen Stillen. Auch das ehrwürdige Fünfsternehotel Claridge’s in London stieß auf Massenprotest. Dort war eine junge Frau, die ihr Kind beim Tee dezent an die Brust genommen hatte, aufgefordert worden, dieses großflächig mit einer weißen Serviette abzudecken. Sie twitterte zwei Bilder vom Stillen in der Lobby: eins ohne Serviette, eins mit dem weißen Tuch. Das erste Foto sah um einiges unauffälliger aus. Auch vor dem Claridge’s versammelten sich daraufhin Dutzende Mütter mit ihren Säuglingen. Dabei verbietet im Vereinigten Königreich seit 2010 ein Gleichheitsgesetz, stillende Mütter zu diskriminieren. So kam es dann auch, dass sich selbst der Sprecher von Premierminister David Cameron mit dieser Frage beschäftigte: Stillen sei „absolut natürlich“, und daher sei es „für eine Frau nicht akzeptierbar, dass sie sich dabei unwohl fühlt"“.

Das Stillen ist eine intime Handlung, die in ruhiger Umgebung vollzogen werden sollte. Nein, ich möchte als Fremder nicht Augenzeuge sein, nein ich möchte nicht weggucken müssen an einem Ort, an dem man üblicherweise den Blick schweifen lässt. Alles hat seine Zeit, für alles gibt es einen Ort.

schreibt NutzerIn habimmerrecht

Etliche Menschen haben die Online-Petition schon unterschrieben

Ein solches Gesetz auch für Deutschland fordert Spanke in ihrer Online-Petition, die sich an Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) richtet. Bis Donnerstagmittag haben schon knapp 4300 Menschen unterschrieben. Eine Ministeriumssprecherin sagt dazu auf Anfrage des Tagesspiegels nur so viel: "Wir wollen eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft. Dazu gehört auch, dass es Müttern möglich sein muss in der Öffentlichkeit ihre Kinder zu stillen. Es sollte möglich sein, hier im Interesse aller gute Lösungen zu finden." Konkreter will sich das Ministerium nicht äußern.

Ob man beim Stillverbot in einem Café von einer Diskriminierung sprechen kann, hält ein Sprecher von Frauensenatorin Dilek Kolat (SPD) für eher zweifelhaft. Es gebe auch ein Hausrecht des Wirtes. Aber betroffene Frauen sollten sich durchaus an die Antidiskriminierungsstelle wenden, dort werde man den Fall prüfen und weiterhelfen.

Ein Pro & Contra zu der Poller-Debatte findet Sie unter diesen Links: "Espresso-Rüller, Tear down this Poller!" und "Alle Eltern müssten doch Hurra schreien."

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