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DasWaldstück am Dahlemer Weg 247 in Berlin-Zehlendorf, das abgeholzt werden soll.

© Thilo Rückeis

Streit um Bebauung des Biotops Dahlemer Weg: Müssen Wildbienen einem Flüchtlingsheim weichen?

Beim Streit um geplantes Flüchtlingsheim in Lichterfelde geht es auch um Tiere. Das vom Bezirk beauftragte Landschaftsplaner-Büro sieht den Eingriff skeptisch.

Sie sind ja nun nicht riesig groß, die Weinbergschnecken. Aber eigentlich doch groß genug, dass man sie mit bloßem Auge erkennen kann. Gibt sie es also nun im nördlichen Bereich des urwüchsigen Naturareals am Dahlemer Weg 247 oder gibt es sie dort nicht? Und liegen Wildbienen-Brutröhren nun im nordwestlichen Bereichs der Naturfläche oder liegen sie außerhalb, im Böschungsbereich zu einer Industrie-Bahnfläche? Das sind gerade spannende Fragen, sie beschäftigen die Bürgerinitiative „Lebenswertes Lichterfelde“ und die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz.

Im nördlichen Bereich des Dahlemer Wegs 247 soll eine modulare Flüchtlingsunterkunft (MUF) für 500 Flüchtlinge gebaut und dafür Hunderte Bäume gefällt werden. Die Bürgerinitiative wehrt sich vehement gegen die Zerstörung des Biotops, sie hat mehrere Hundert Unterstützer, darunter auch einen renommierten Experten wie Klaus Neumann, Präsident der Deutschen Gartenbau Gesellschaft.

Eine der Kernfragen bei dem Streit lautet: Wie wertvoll ist diese Fläche für die Natur? Wenn es dort Weinbergschnecken, vor allem aber die bedrohten Wildbienen gibt, wird das Areal natürlich aufgewertet, und eine Bebauung wäre wohl schwieriger durchzusetzen.

Dahinter steckt natürlich der viel größere Konflikt: Muss für ein Flüchtlingsheim ein wildes, natürlich gewachsenes Biotop zerstört werden? Gibt es nicht Alternativstandorte, die keine solche Wunden in die Stadtnatur reißen? Die Bürgerinitiative sieht natürlich den Bedarf an Flüchtlings-Wohnungen, aber sie möchte dafür nicht Hunderte Bäume fällen lassen. Eine Liste mit aus ihrer Sicht potenziellen Alternativ-Standorten für eine MUF hat sie dem Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf bereits weitergeleitet. Doch der Bezirk konzentriert sich bisher auf den Dahlemer Weg. Derzeit gebe es dazu keine vernünftige Alternative.

Naturschutz-Beauftragter hat Wildbienen-Brutröhren gefunden

Gibt es nun im Dahlemer Weg Schnecken und Wildbienen? Ja, sagt Bernd Machatzi. Er hat im Auftrag von Ingo Kowarik, dem „Landesbeauftragten für Naturschutz und Landschaftspflege bei der Senats-Umweltverwaltung“, den Dahlemer Weg im Juni 2018 besichtigt. Die Frage lautet: Wo genau sind sie?

Machatzi hat „am östlichen Rand des Wäldchens, der an eine Industriebahnfläche grenzt, zahlreiche Wildbienen-Brutröhren“ gefunden. Das schrieb er der Bürgerinitiative. Außerdem sah er Weinbergschnecken, allerdings erklärte er nicht, ob im Norden oder im Süden. Der Süden soll unbebaut bleiben.
Die Senatsumweltverwaltung teilt der Bürgerinitiative nun allerdings mit: „Das Vorkommen einer Weinbergschnecken-Population wird laut Gutachten nicht festgestellt.“ Und zu den Wildbienen schreibt sie: „Die Wildbienenbrutröhren befinden sich im Böschungsbereich zur Industriebahnfläche, die von der Baumaßnahme unberührt bleibt.“

Gegen diesen Satz wehrt sich die Bürgerinitiative vehement. Lars Quell, einer der Gründer der Bürgerbewegung, schreibt zurück: „Ihre Behauptung, die Wildbienenbrutröhren befänden sich im Böschungsbereich zur Industriebahnfläche, die von der Baumaßnahme unberührt bleibe, ist schlichtweg falsch und entzieht sich jeglicher Grundlage. Die Bürgerinitiative Lebenswertes Lichterfelde hat die Brutröhren im nördlichen Teil kartiert und mit beweistauglichen Fotos dokumentiert.“

Landschaftsplaner haben im Bezirksauftrag Gebiet untersucht

Das Gutachten, auf das sich die Umwelt-Verwaltung bezieht, ist eine Untersuchung des Gebiets durch ein Landschaftsplaner-Büro, das der Bezirk in Auftrag gegeben hat. Dieses Büro bezeichnet die Untersuchung allerdings selber nur als „ad-hoc-Bewertung“ und „erste Einschätzung“ des Gebiets.

Zu den Wildbienen kommt die Untersuchung zum Ergebnis: „Die stark besonnten Bereiche des weitestgehend vegetationsfreien Hangs am Rand der Bahnanlage östlich des Grundstücks Dahlemer Weg 247 sind potenziell als Brutstätte für Wildbienen geeignet. Aufgrund des fehlenden Angebots an entsprechenden Futterpflanzen in der Umgebung sind jedoch auch hier (außerhalb des Grundstücks) stark gefährdete oder streng geschützte Wildbienenarten wenig wahrscheinlich.“

Der Autor der Untersuchung stellt zwar fest, dass der südliche Teil des Areals für gefährdete Arten und die Artenvielfalt erheblich größer ist als der nördliche, aber er schreibt auch: „Ungeachtet der aktuellen Wertigkeit des Grundstücks ist anzumerken, dass es sich bei der Fläche um eine geschützte Grünfläche handelt, die in ihrer Funktion als Grünfläche für das Stadtklima und die Biodiversität grundlegend eine Bedeutung hat. Eine Bebauung bedeutet (...) eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. Prinzipiell sei die „Inanspruchnahme einer gewidmeten Grünanlage für eine Bebauung, insbesondere in einer wachsenden Stadt wie Berlin kritisch zu hinterfragen.“

Auch Bernd Machatzi aus dem Büro des Landesbeauftragten für Naturschutz und Landschaftspflege, teilte in einem Schreiben an die Bürgerinitiative mit: „Eine Bebauung von gewidmeten Grünanlagen ist aus meiner Sicht grundsätzlich abzulehnen.“ Er werde das Bezirksamt darum bitten, „das Wäldchen zu erhalten und nach einem Alternativstandort für die geplante Unterbringung von Geflüchteten zu suchen (....).“

Doch die Senatsumweltverwaltung sieht das, ebenso, wie das Bezirksamt, bisher anders. Sie teilte der Bürgerinitiative mit: "In der naturschutzfachlichen Bewertung und faunistischen Potenzialeinschätzung vom Juni 2018 wird der nördliche Bereich des Grundstückes Dahlemer Weg 247 in Bezug auf das Vorkommen gefährdeter Arten bedingt durch die Verschattung und Artenarmut der vorhandenen Bestände als gering eingestuft und in Bezug auf die Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten als gering bis mittel eingestuft. Auf dieser Grundlage ist der Bau der Flüchtlingsunterkünfte genau in diesem Bereich vorgesehen.“

Der untere Bereich, der in Bezug auf die Wertigkeit als mittel eingestuft werde, bleibe von der Baumaßnahme gänzlich unberührt. Das Teil-Grundstück erhalte begrünte Freianlagen, so dass der Biotopverbund, wie er zur Zeit vorhanden sei, erhalten bleiben wird.

Die Bürgerinitiative plant schon den nächsten Schritt, um ihren Protest gegen die Bebauung zu des Dahlemer Wegs zu demonstrieren: Sie organisiert eine Podiumsdiskussion zum Thema „Bäume sterben für Bauten“. Dazu geht sie raus aus ihrem Bezirk. Diskutiert wird in der Urania.

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