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Streit um Berliner Jahn-Sportpark: „Wenn man eine inklusive Sportanlage will, ist der Abriss alternativlos“

Sportverbände drängen auf den Umbau der Sportanlage in Prenzlauer Berg. Doch der "Inklusionssportpark" dürfe kein Etikettenschwindel sein, fordert der Behindertensportverband vom Senat.

Von Christian Hönicke

Alle waren sich einig: Das Ding muss weg. Das Große Stadion im Jahn-Sportpark war am Dienstag Schauplatz der „Tour de Barriere“, prominente Berliner Sportverbände hatten sie ins Leben gerufen. Sportler mit Behinderungen, zum Beispiel Leo Rupp im Rollstuhl oder der sehbehinderte Goalball-Europameister Michael Feistle, mühten sich dabei in die Arena. Sie mussten steile, graue Betonrampen überwinden, in die Sitzränge kamen sie wegen der Stufen teils gar nicht.

Das überraschte nicht: Das Stadion atmet den Geist der 50er Jahre, als es das Wort Inklusion noch nicht gab. Es gibt nur einen behindertengerechten Zuschauereingang. „Wenn Sie mit Freunden im Rollstuhl kommen, müssen Sie sich vor dem Stadion voneinander verabschieden und dann muss jeder in seinen Block gehen“, sagte Klaas Brose, der Geschäftsführer des Behinderten- und Rehabilitations-Sportverbands Berlin. Das sei nicht inklusiv, sondern trennend.

Sein Vizepräsident Stefan Schenck erzählte: „Zur Para-Leichtathletik-EM haben wir draußen einen Lastenaufzug für die Zuschauer angebaut. Damit wollte aber kaum einer fahren, weil es zu wackelig aussah.“

Der Termin am Dienstag war Teil der Öffentlichkeitsoffensive des Berliner Sports, die den Abriss des Stadions in Prenzlauer Berg fordert. Dieser ist zusammen mit dem anschließenden Neubau für 120 Millionen Euro eigentlich seit 2014 beschlossene Sache. Genauso wie der Umbau der restlichen Sportanlage für weitere 65 Millionen Euro zum „Inklusionssportpark“.

Doch die Diskussion um die Pläne ist seit einiger Zeit neu entbrannt. Die kritischen Stimmen mehren sich, aktuell wird im Senat und im Abgeordnetenhaus heiß diskutiert, wie es weitergeht. Deswegen gingen die Sportverbände mit dem Behindertensport als Speerspitze in die Gegenoffensive. Sie starteten eine Petition, die die Verwirklichung der großen Pläne fordert. Getrieben von der Angst, der Umbau des Sportparks könne auf der Zielgerade scheitern.

Bezirksbürgermeister fordert Umgestaltung statt Abriss

Im Mittelpunkt der Debatte steht das Stadion für 20.000 Zuschauer. Zu den Kritikern des Neubaus gehören Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) und die „Bürgerinitiative Jahnsportpark“, die insbesondere erhöhte Verkehrsbelastungen für das Umfeld durch mehr und größere Events im neuen Stadion befürchten.

„Die Abrissplanungen zum Stadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark sind sofort zu stoppen“, forderten zuletzt auch der Bund Deutscher Architekten (BDA/Landesverband Berlin) und der Bund Deutscher Landschaftsarchitekten (bdla/Landesgruppe Berlin-Brandenburg) in einer gemeinsamen Erklärung.

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Der Sportpark und der angrenzende Mauerpark seien „eine Deutschland-, wenn nicht weltweit einmalige Sport- und Freizeitlandschaft“. Sie müsse „behutsam saniert und nicht brachial umgestaltet werden“. Insbesondere der Ende des Jahres geplante Abriss des Stadions werde „nicht stichhaltig begründet“. Stattdessen müsse eine Sanierung geprüft werden.

Behindertensportverband hält Sanierung für „nicht sinnvoll“

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie dieses Stadion sinnvoll saniert werden soll", entgegnete darauf Klaas Brose vom Behindertensportverband. Vizepräsident Schenck ergänzte: „Der Begriff barrierefrei ist vage, deswegen haben wir diesen Parcours gemacht, um das mal praktisch zu zeigen.“

Treppen und enge Gänge – für Rollstuhlfahrer ist das Jahn-Stadion nur schwer erreichbar.
Treppen und enge Gänge – für Rollstuhlfahrer ist das Jahn-Stadion nur schwer erreichbar.

© Kay Nietfeld/dpa

Noch deutlicher wurde Thomas Härtel, der Präsident des Landessportbundes Berlin (LSB): „Der Abriss des Stadions ist alternativlos, wenn man eine inklusive Sportanlage errichten will.“ Er hofft, dass der Neubau 2025 fertig ist.

Die Gegner des Abrisses wurden in der Sportrunde als „Romantiker“ bezeichnet. Die triste Realität sei, dass das alte Stadion nur mit enormem Aufwand barrierefrei zu bekommen sei, sagte Schenck. „Viel einfacher wird das beim Neubau, weil da gleich von Beginn an unsere Bedarfe berücksichtigt werden.“

Klare Forderungen an den Senat

Und genau die habe man dem Senat nun detailliert zukommen lassen. Dabei seien vermeintliche Kleinigkeiten wie Block- und Sitzbezeichnungen in Blindenschrift. Im Wohnungbau koste es gerade einmal 0,6 Prozent mehr, ein Gebäude komplett inklusiv zu errichten, rechnete Schenck vor: „Das wollen wir beim Stadion auch erreichen.“

Der Ball liegt nun also beim Senat. Bisher hat er nur das Abrissziel, aber noch keine konkreten Pläne für den Neubau vorgelegt. Kritiker wie der Grünen-Abgeordnete Andreas Otto merken an, dass das Stadion bisher zu zwei Drittel der Termine für Fußball genutzt wird.

Sie fürchten daher eine normale Mehrzweckarena, für die das Label „Inklusion“ Etikettenschwindel wäre. Dass Berlin ein zweitligataugliches Fußballstadion braucht und dies ein Hauptgrund für den Neubau ist, räumten auch die Sportvertreter ein. „Wir werden wahrscheinlich bald schon einen Drittligisten in der Stadt haben“, sagt Carsten Maass vom Bezirkssportbund Pankow.

Ziel: 10.000 Unterschriften

Doch den Vorwurf Etikettenschwindel griff der Sport gezielt auf. Die Planung des Sportparks solle „für und mit ALLEN (bisherigen und künftigen) Nutzer*innen gedacht“ werden, heißt es in der Petition an Sportsenator Andreas Geisel (SPD) gerichtet: „für Menschen mit körperlichen, Sinnes- und geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen und ohne Behinderung im Breiten-, Leistungs-, Rehabilitations- und Individualsport“. Dies richtet sich an den Senat und legt nahe, dass dies bisher nicht unbedingt so war.

„Gefordert haben wir das vorher auch schon“, sagte Schenck diplomatisch. Andere Vertreter des Behindertensports berichteten, dass ihr Bedarf bisher kaum berücksichtigt wurde und die renommierten Vereine in der Senatsverwaltung vorrangig behandelt wurden.

Dies ändere sich gerade durch die öffentliche Debatte infolge der Kritik, die den Senat in Zugzwang bringe. Die Senatssportverwaltung hob den Behindertensport in ihren Entgegnungen auf die Kritik stets hervor - und der nutzt diesen Rückenwind nun und erhöht den Druck. „Wir wollen von der Politik, dass sie sich beim Umbau klar zur Inklusion bekennt“, so Schenck. „Da kann sie noch eine Schippe zulegen.“

Behindertensport erhöht Druck auf Senat

Dabei verlässt der Behindertensport die Position als Bittsteller und fordert mittels der Petition klare Maßnahmen beim Umbau ein: So soll auf dem Gelände nicht nur das „Kompetenzzentrum für InklusionsSport (KIsS)“ errichtet werden, auch eine der beiden neuen Sporthallen soll demnach künftig „primär als 'Forschungshalle für Inklusionssport' dienen“.

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Außerdem sollen der Senat und die Bezirke Pankow und Mitte ein Verkehrskonzept entwickeln, das auf den ÖPNV- und Fahrradverkehr ausgerichtet ist und barrierefrei den Eingang in die Anlage ermöglicht. Schenck: „Da müssen Haltstellen verbessert, Leitsysteme errichtet und auch Gehwege in der Umgebung begradigt werden.“ Zusätzlich als Forderung taucht eine inklusive Bewegungskita auf - die war schon einmal angedacht, wurde zwischenzeitlich aber wieder aus den Plänen gestrichen.

Inklusion ist mehr als Barrierefreiheit

Die Gegner des Umbaus von der „Bürgerinitiative Jahnsportpark“ haben bisher gut 4.200 Unterstützer mobilisiert. Die Initiative veröffentlichte ebenfalls am Dienstag ein Statement, wonach der Großteil des Sportparks doch schon barrierefrei sei. Schenck widersprach: „Allein die abgesenkten Tennisplätze sind nicht barrierefrei.“

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Inklusion sei zudem mehr als Barrierefreiheit: Blinde etwa benötigten zum Joggen normalerweise eine Begleitperson. Das soll im neuen Inklusionssportpark nicht mehr nötig sein, wenn eine Joggingstrecke mit Geräuschleitsystem eingebaut wird. Und der Sportpark sei eben kein öffentlicher Park, sondern eine Sportfläche, so Schenck: „In der wachsenden Stadt müssen wir auch Sportflächen verdichten, da werden dann Wiesen verloren gehen.“

Der organisierte Sport bewegt sich aber auch auf die kritischen Anwohner zu. Die Angst vor der Rodung von bis zu 240 Bäumen für den Umbau wurde von den Verbänden aufgenommen. „Ein Stadionneubau wird nicht ohne Baumfällungen gehen“, sagte Schenck.

„Wir fordern in der Petition aber, dass für jeden gefällten Baum zwei neue gepflanzt werden – im oder direkt am Sportpark.“ Auch die Furcht vor einer geschlossenen Vereinsanlage will man den Anwohnern nehmen. „Das wird keine geschlossene Anlage“, sagt LSB-Präsident Härtel. „Auch Anwohner können hier zu jeder Zeit rein und Sport treiben.“

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