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Berlin: Streit um das Sorgerecht: Wer zieht Sürücü-Sohn auf?

Justizexperten: Familiengericht muss allein nach Kindeswohl entscheiden Senatorin Schubert fordert eine besonders gründliche Prüfung

Von Sabine Beikler

Die Familienrichter werden es nicht leicht haben: Ob der leibliche Vater, die Schwester oder ein Vormund das Sorgerecht für Can, den sechsjährigen Sohn der ermordeten Hatun Sürücü erhält, muss „im Einzelfall“ entschieden werden, sagte Helmut Grothe, Professor und Direktor des Instituts für Internationales Privat- und Prozessrecht an der Freien Universität. Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) erwartet eine „besonders gründliche Prüfung“, da der Junge schon seit dem Tod seiner Mutter im Februar 2005 bei einer Pflegefamilie lebt. „Zu berücksichtigen ist bei einer solchen Entscheidung stets, welche Wertmaßstäbe die verstorbene Mutter der Kindeserziehung zu Grunde gelegt hatte – und ob diese dem Kind weiterhin vermittelt würden“, sagte sie dem Tagesspiegel.

Arzu Sürücü, die Schwester der im Februar 2005 von ihrem Bruder erschossenen Hatun, will das Sorgerecht beantragen, hat sich aber noch nicht mit dem zuständigen Jugendamt in Verbindung gesetzt. „Ich werde das bald tun. Der Kleine ist wichtiger als alles andere. Can ist ein Teil meiner Schwester, den ich bei mir tragen möchte. Für ihn würde ich auch von zu Hause ausziehen“, sagte Arzu Sürücü am Dienstag dem Tagesspiegel.

Auch der in Istanbul lebende leibliche Vater des Kindes will sich offenbar um das Sorgerecht bemühen. „Das hat er meiner Familie gesagt“, sagte Arzu Sürücü. Der Vater soll bisher keinen Kontakt zum Kind aufgebaut haben. Can habe ihn nur von Fotos gekannt, sagte Sürücü. Zurzeit lebt der Junge bei einer Pflegefamilie an unbekanntem Ort. Das Jugendamt hatte nach der Ermordung von Hatun durch den jüngeren Bruder Ayhan eine Kontaktsperre verhängt. „Solange die Revision der Staatsanwaltschaft läuft, wird das Kontaktverbot aufrechterhalten“, sagte Angelika Schöttler, die zuständige Jugendstadträtin von Tempelhof-Schöneberg. Das Landgericht hatte Ayhan Sürücü wegen Mordes an seiner Schwester zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilt. Zwei Brüder wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Es konnte nicht gerichtsfest nachgewiesen werden, dass ein Familienrat den Tod der nach westlichen Werten lebenden Hatun beschlossen hatte. Die Revision gegen das Urteil läuft.

Bei einer Übertragung des Sorgerechts ist immer das Wohl des Kindes entscheidend. „Die Entscheidung unterliegt dem Richterrecht“, sagte Stephan Kapps, ein Sprecher des Kammergerichts. Juristisch gesehen steht dem überlebenden Elternteil laut Paragraf 1680, Bürgerliches Gesetzbuch, das Sorgerecht zu. Allerdings gibt es laut Jurist Grothe dazu auch Kommentare, in denen die „Art der Lebensführung die freie Persönlichkeitsentfaltung des Kindes“ beeinträchtigen könnte – und damit dem Wohl des Kindes entgegenstehe. Ob diese Rechtsprechung zum Beispiel bei fundamentalistisch-islamorientierten Familienangehörigen zum Tragen komme, müsse immer mit dem Kindeswohl abgewogen werden.

Kein Jurist wagt zurzeit eine eindeutige Bewertung im Fall Sürücü und verweist auf das zuständige Familiengericht im Amtsgerichtsbezirk Tempelhof-Kreuzberg. Sollte dort das Sorgerecht beantragt werden, muss das Jugendamt eine gutachterliche Stellungnahme abgeben. Die Mitarbeiter werden dann überprüfen, ob das Kind dort ausreichend versorgt wird, ob möglicherweise eine Kindsentführung drohen könnte – oder was eine Entscheidung für die Zukunft des Kindes bedeuten könnte. Sowohl Jugendstadträtin Schöttler als auch Thomas Harkenthal, Jugendamtsdirektor in Friedrichshain-Kreuzberg, betonen, dass im Sürücü-Fall eine Beurteilung „sehr schwierig“ sein werde. Schöttler: „Die letzte Entscheidung aber liegt immer beim Familiengericht.“

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