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Streit um die A100: Knietief in der Vorwendezeit

Geschichte wiederholt sich nicht? Doch, als Farce – wie bei der Diskussion um den A-100-Weiterbau, sagt unser Autor Hans Stimmann.

Wie halten es die Parteien mit zentralen Themen der Stadtentwicklung? Unser Autor analysierte in der Ausgabe vom 20. Juli die Wahlprogramme mit Blick auf Ideen zur historischen Mitte. Heute geht es um den Weiterbau der Stadtautobahn A 100.

Sind sämtliche Parteien in Bezug auf ihre Position zur Zukunft der leeren Mitte noch gar nicht in Berlin angekommen, verharren mindestens die traditionellen West-Berliner Parteien – CDU, FDP, SPD – bezogen auf die Verlängerung des Stadtautobahnringes A 100 von der Grenzallee in Neukölln in Richtung Frankfurter Allee noch tief in der Vorwendezeit West-Berlins. Genauer gesagt, irgendwo in den Jahrzehnten vor der Wahl Hans-Jochen Vogels (SPD) zum Regierenden Bürgermeister am 31. Januar 1981. Vogel beendete damals die langjährigen West-Berliner politischen Auseinandersetzungen mit der Parole: „Die Stadtautobahn Westtangente wird nicht gebaut – Es lohnt sich wieder, SPD zu wählen.“ Den unter anderem im Kampf gegen die Westtangente entstandenen Grünen – früher AL, also Alternative Liste – müssen daher die aktuelle Debatte und darin die Positionen von CDU, FDP und SPD wie eine Wiederaufführung eines Schauspiels an der Schaubühne, so eine Art optimistischer Tragödie, vorkommen. Und die Linke registriert wahrscheinlich erstaunt, wie scheinbar unauflöslich die genannten drei Parteien CDU, FDP und SPD noch mit der Fortschrittsidee der fünfziger Jahre verbunden sind, nämlich das wiedervereinigte Berlin wie Los Angeles kreuzungsfrei und autogerecht zu gestalten. Das wäre etwa so, als würde die Linke heute anstelle der A 100 eine neue Stalinallee vorschlagen. Doch Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn wie derzeit bei der Stadtautobahndebatte – als Farce.

Hinter der Bezeichnung A 100 verbirgt sich nämlich die Wiederaufnahme der aus den sechziger Jahren stammenden West-Berliner Planung des in etwa der Ringbahn folgenden Stadtautobahnringes. Von dieser aktualisierten Planung verabschiedete sich der West-Berliner Senat mit Bausenator Harry Ristock (SPD) Anfang 1976. Damals wurden die Fortsetzung des Ringes sowie die Nord- und Südtangente aufgegeben. Lediglich die Westtangente blieb noch, bis Hans-Jochen Vogel sie 1981 aufgab und damit die Anlage des heutigen Potsdamer Platzes, des Parlamentsviertels und des Hauptbahnhofes ermöglichte.

30 Jahre nach dem Abschied von den damals als überholt bezeichneten Autobahnplänen erfährt dieses Konzept eines Ringes eine Renaissance, begründet mit dem Hinweis, dass an der Struktur des Autobahnnetzes „die Folgen der langen Teilung noch sichtbar“ sind (Senatorin Ingeborg Junge-Reyer).

Nun sollen diese ausnahmsweise einmal positiven Folgen der Teilung, nämlich die Orientierung der Hauptstraße auf die Mitte und nebenbei auch noch die verkehrspolitischen Einsichten der siebziger Jahre mit dem Weiterbau des Ringes über die ehemalige Grenze und die Spree in Richtung Frankfurter Allee aufgehoben werden.

In Kenntnis der 1976 bis 1981 vollzogenen Änderungen der verkehrspolitischen und planerischen Haltungen zum weiteren Bau von innerstädtischen Stadtautobahnen fehlen einem bei der Lektüre der Parteiprogramme von CDU, FDP und SPD und den Begründungen des Senats für die Verlängerung des Stadtautobahnringes A 100 erst einmal die Worte. Seit der Begründung für den West-Berliner Flächennutzungsplan von 1965 sind sie nämlich gleich geblieben. Der Bau, so die SPD im Programm 2011, ganz in der Tradition der sechziger Jahre, entlaste „Wohngebiete und die Innenstadt vom Autoverkehr“. FDP und CDU sehen das ähnlich, zeigen aber wenigstens verbal Kreativität. Die FDP ergänzt die stereotype Begründung aus den sechziger Jahren um die Formel, der Bau der Stadtautobahn sei eine Voraussetzung für das „Bürgerrecht Mobilität“, während die CDU die 400 Millionen teure Verlängerung der Stadtautobahn „als aktive Umweltschutzmaßnahme“ preist.

Als einzige Partei bekennt sich die CDU mit der „langfristigen Vollendung des Stadtautobahnringes“ beim Autobahnbau mutig zur Vergangenheit, die allerdings nur bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts reicht und die übrige Geschichte ausklammert. Abgelehnt wird das Projekt einer Gesamtberliner Stadtautobahnplanung aus der Perspektive West-Berlins aus der Zeit der sechziger Jahre lediglich von der Partei Die Linke und von den Grünen. Die Grünen bewegen sich mit dem Kampf gegen die Fortsetzung des Autobahnringes auf dem Fundament ihrer in den siebziger Jahren entwickelten Stadtverkehrspolitik, unter anderem gegen die Süd- und Westtangente. Die Tatsache, dass die gegenüber dem technischen Fortschritt eigentlich aufgeschlossene Partei Die Linke aus sozialen und Umweltgründen ebenfalls grundsätzlich gegen die Verlängerung der A 100 ist, hat wohl auch damit zu tun, dass die harten Debatten pro und contra Stadtautobahn nur in West-Berlin stattgefunden haben.

Die früheren Ost-Berliner Hauptstadtplaner lehnten das West-Berliner Ring-Tangentensystem der Stadtautobahn ab und konzentrierten sich auf den Um- und Ausbau vorhandener Ausfallstraßen mit dem prominentesten Beispiel der Stalinallee / Frankfurter Allee, die nun an das Stadtautobahnsystem angeschlossen werden sollen. Damit würden buchstäblich zwei extrem gegensätzliche Positionen zum Thema Straße technisch verbunden.

Berlin (West), Partnerstadt von Los Angeles – der Stadt auf vier Rädern –, hatte sich mit Willy Brandt als Regierendem Bürgermeister auf den Weg gemacht, die Struktur des Straßennetzes mit den in Richtung der historischen Tore des Zentrums führenden Ausfallstraßen durch ein Stadtautobahnsystem aus Ringen und Tangenten grundsätzlich abzulösen. Das Revolutionäre des neuen Systems von kreuzungs- und anbaufreien reinen Autostraßen war der Abschied von der Tradition und von der Wirklichkeit großstädtischer Ausfallstraßen und Boulevards, als den bis dahin wichtigsten, die Stadt gliedernden öffentlichen Räumen mit der Vielfalt unterschiedlicher Nutzungen (Wohnen, Arbeiten, Einkaufen) und für gemischten Verkehr. Man denke an die zu den Stadttoren führenden Straßen wie die Charlottenburger Chaussee, Frankfurter und Landsberger Allee, Potsdamer Straße, Brunnenstraße, Schönhauser Straße etc. Es sind genau diese radial auf die Tore in der ehemaligen Akzisemauer und in das dahinterliegende historische Zentrum führenden Straßen, die gerade jetzt von einer Gruppe freier Planer als Gegenstand einer Internationalen Bauausstellung 2020 vorgeschlagen werden, nachzulesen im Tagesspiegel vom 1. Juli 2011). Während die CDU, FDP und SPD offensichtlich noch an der Utopie einer zentrumslosen aber autogerechten Stadt festhalten, markiert der aktuelle IBA-Vorschlag für die Urbanisierung der Radialstraße den endgültigen Abschied vom Traum eines neuen Bildes einer von Autobahnen durchzogenen Stadt als Landschaft aus Großsiedlungen, Einkaufszentren und Gewerbegebieten.

Auch an der Art des Umgangs mit dem Thema Straßen als öffentlicher Raum erkennt man bei den im Westteil Berlins sozialisierten Parteien CDU, FDP und SPD befremdliches Verharren in längst überholt geglaubten Positionen der siebziger Jahre.

Hans Stimmann, ist SPD-Mitglied, war von 1991 bis 1996 und von 1999 bis 2006 Senatsbaudirektor sowie von 1996 bis 1999 Staatssekretär für Planung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

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