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Robert Shaw von den Prinzessinnengärten steht vor dem Café, dass die Prinzessinnengärtner im Eingangsbereich des Friedhofs betreiben.

© Jörg Carstensen/dpa

Streit um Gartenprojekt auf ehemaligem Friedhof: Umweltamt fordert Rückbau der Prinzessinnengärten

Vor rund einem Jahr zog das Gartenprojekt vom Kreuzberger Moritzplatz nach Neukölln. Nun sieht es sich in seiner Existenz bedroht.

Es sollte ein Modellprojekt für die neue Nutzung ehemaliger Friedhofsflächen werden – und droht nun, zu scheitern. Vor rund einem Jahr zog das Team der Prinzessinnengärten vom Kreuzberger Moritzplatz auf den Friedhof St. Jacobi II in der Neuköllner Hermannstraße. Damit wurden die Gemeinschaftsgärtner Teil eines Konfliktes, der seit einiger Zeit zwischen dem Evangelischen Friedhofsverband Stadtmitte, der Eigentümerin der Friedhofsfläche, und dem Neuköllner Umweltamt schwelt.

Ende Februar verhängte das Umweltamt eine Rückbauanordnung für den Gemeinschaftsgarten. Die Begründung: Die Prinzessinnengärten würden gegen das geltende Naturschutzrecht und einen Landschaftsplan, der 1993 für den Friedhof erstellt wurde, verstoßen. Anfang der Woche widersprach der Friedhofsverband der Anordnung in allen Punkten.

Der zuständige Neuköllner Umweltstadtrat Bernward Eberenz (CDU) fordert in der Anordnung, die dem Tagesspiegel vorliegt, unter anderem den Rückbau eines Unterstandes für Gartengeräte, einer Komposttoilette, zweier Bauwägen und des Gemüsebeetes. Angemahnt werden die „Bauten“ mit insgesamt 30 000 Euro Zwangsgeld.

„Es ist schon relativ absurd, dass wir von einem Amt für Umweltschutz in die Ecke der ’Speerspitze der Bebauung’ gestellt werden – das ist nicht, was wir tun und auch nicht, was wir vorhaben“, sagt Robert Shaw, Geschäftsführer der Nomadisch Grün gGmbH, der Trägerin des Gemeinschaftsgartenprojektes. Das Gartenkollektiv sehe es als seine Aufgabe, die Transformation der ehemaligen Friedhofsfläche zu begleiten, auch im Sinne der Biodiversität. Gefördert wird das Projekt aus Geldern des Berliner Programms für Nachhaltige Entwicklung (BENE) des Berliner Senats. „Wenn wir nicht hier wären und niemand was machen würde, und das ist die realistische Option, dann bleibt auf Dauer von den Wiesen nicht viel übrig“, sagt Shaw.

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„Ich glaube, dass sich ein Stück weit auf beiden Seiten die Gemüter hochgeschaukelt haben und eine konstruktive Ebene verlassen wurde“, sagt Tillmann Wagner, Geschäftsführer des Friedhofsverbandes. Er wirft dem Umweltamt vor, den Rahmen der Verhältnismäßigkeit verlassen zu haben. Er sieht die Rückbauanordnung als Teil eines Konfliktes um die Nachnutzung nicht mehr benötigter Friedhofsflächen, der seit rund fünf Jahren zwischen dem Bezirksamt und dem Friedhofsverband schwelt. Als privater Träger erhält der Verband, anders als kommunale Friedhöfe, keine Senatspauschale für die Pflege der Grünflächen. Gleichzeitig benötigt der Verband immer weniger Flächen für Gräber, da Erdbestattungen kaum noch stattfinden.

Gärtnerglück: Das Kollektiv rund um Robert Shaw (mit rotem Spaten) will die ehemalige Friedhofsfläche wieder mit Leben füllen.
Gärtnerglück: Das Kollektiv rund um Robert Shaw (mit rotem Spaten) will die ehemalige Friedhofsfläche wieder mit Leben füllen.

© Doris Spiekermann-Klaas

„Der Neue St. Jacobi-Friedhof war leider ein Problemstandort, vor allem, was Drogen und Kriminalität anging“, sagt Tillmann Wagner. Ältere Damen, die sich um die wenigen verbliebenen Gräber kümmern, hätten sich kaum noch alleine auf den Friedhof getraut. „Deshalb fanden wir die Idee einer alternativen Nutzung des Friedhofs gut, die ein bisschen Leben auf den Friedhof holt – aber eben kontrolliert.“ Und wenn Menschen stundenlang gärtnerten, dann müsse man eben auch mal auf die Toilette. Die von den Prinzessinnengärten vorgeschlagene Komposttoilette, die nun vom Umweltamt bemängelt wird, hielt der Friedhofsverband für eine „charmante Lösung“.

Friedhofsverband bezweifelt, dass das Bundesnaturschutzgesetz anwendbar ist

In seinem Widerspruch gegen die Rückbauanordnung, der dem Tagesspiegel vorliegt, zweifelt der Friedhofsverband unter anderem an, dass das Bundesnaturschutzgesetz für eine Friedhofsfläche überhaupt anwendbar sei – und selbst wenn, würden die bemängelten Einrichtungen nicht gegen dieses verstoßen. Außerdem handele es sich gar nicht um bauliche Anlagen, da weder Bauwägen noch Komposttoiletten fest mit dem Boden verbunden seien. Der Unterstand für Gartengeräte sei notwendig für den Betrieb des Friedhofes. „Wir haben auf all unseren aktiven Friedhöfen in den vergangenen Jahren kleine Hallen für Maschinen, Garagen oder Carports gebaut, saniert oder wieder hergerichtet. Das gehört zur Infrastruktur eines Friedhofs“, sagt Wagner.

Umweltstadtrat Eberenz sagt: „Der Friedhof wurde jahrzehntelang ohne einen solchen Unterstand betrieben.“

Ist der Landschaftsplan von 1993 noch gültig?

Zentral ist vor allem die Frage, ob der Landschaftsplan von 1993, auf den sich Eberenz beruft, weiter gültig ist. Der Friedhofsverband zweifelt dies an. Einerseits sei nie versucht worden, den Landschaftsplan tatsächlich umzusetzen. So befindet sich auf einer Fläche, auf der laut Plan ein Spielplatz errichtet werden sollte, bereits seit August 1995 eine Wagenburg. An deren Bauwägen stört Eberenz sich nicht – und verweist auf deren Gewohnheitsrecht.

Allerdings gibt es bereits andere Pläne für den Friedhof: 2017 beschloss die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) das sogenannte „Integrierte Friedhofskonzept“. Parallel wurde ein Bebauungsplanverfahren für die Fläche eingeleitet, das den bisherigen Landschaftsplan ablösen soll. Auf dem Friedhof sollen künftig eine Schule und Wohnungen entstehen. Ein Großteil der Fläche soll als Grünfläche weiter genutzt werden.

Vorsitzender des Umweltausschusses spricht von „Schikane“

Bernd Szczepanski, Vorsitzender des Umweltausschusses und der Grünen-Fraktion in der Neuköllner BVV, spricht von „Schikane“ von Seiten des Umweltstadtrates. „Das übergeordnete Ziel des bisherigen Landschaftsplanes ist es, eine grüne Erholungsfläche zur Verfügung zu stellen. Dem steht ein Kohlbeet nicht entgegen“, sagt Szczepanski. Unverhältnismäßig seien auch die regelmäßigen Kontrollgänge des Umweltamtes auf der Friedhofsfläche.

„Wir fühlen uns wie das best-gemonitorte Projekt Berlins“, sagt auch Prinzessinengärtner Robert Shaw. Im Zwei-Wochen-Takt würde das Amt unangekündigte Begehungen durchführen und anschließend Mängellisten an den Friedhofsverband schicken. Eberenz begründete dies damit, dass es auf anderen Friedhöfen im Bezirk keine „vergleichbaren Vorgänge“ gebe.

Auch den Gemüseacker im hinteren Teil der Friedhofsfläche bemängelt das Umweltamt.
Auch den Gemüseacker im hinteren Teil der Friedhofsfläche bemängelt das Umweltamt.

© Jörg Carstensen/dpa

Für das Gartenprojekt geht es laut Shaw mittlerweile um die Existenz. Sollte die Rückbauanordnung nicht zurückgenommen werden, will das Kollektiv vor Gericht ziehen. „Was bleibt uns denn anderes übrig?“, sagt Shaw. „Wir können nicht einfach 90 Prozent dessen, was wir aufgebaut haben, wieder abbauen. Selbst ohne Corona hätten wir noch nicht mal das Geld, den Abbau zu finanzieren.“ Er frage sich langsam, was eigentlich die Motivation hinter den Aktionen sei. Dabei verweist er auch auf das Gartenprojekt des Bildungslabors „Schlesische 27“, das nach einem ähnlichen Konflikt mit dem Umweltamt Anfang 2019 den benachbarten St. Thomas-Friedhof räumen musste.

Um gegen die Rückbauanordnung zu protestieren, will das Kollektiv am Freitag eine Unterschriftenaktion starten. Den Link zu der Petition finden Sie hier.

Auch für den Geschäftsführer des Friedhofsverbandes, Tillmann Wagner, geht es mittlerweile um den Erhalt der öffentlichen Nutzung. Für ihn ist es ein Widerspruch, dass der Bezirk einerseits das Fehlen öffentlicher Grünflächen im Norden Neuköllns bemängele und gleichzeitig durch sein Gebaren den Erhalt einer solchen gefährde.

Wenn sich keiner um die Flächen kümmern dürfe und auch die notwendige Infrastruktur verweigert würde, „dann ist die Konsequenz zu sagen, wir schließen den Friedhof“, sagt Wagner. „Wenn ich in der Rückbauanordnung Sätze lese wie ‚erhebliche Beeinträchtigung‘ oder ‚Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung‘, dann kann ich das absolut nicht nachvollziehen. Wir wollten mit der jetzigen Nutzung genau das Gegenteil erreichen – wir wollten die Sicherheit und Ordnung auf der Fläche wieder herstellen.“ Das sei nach Einschätzung des Friedhofsverbandes gelungen.

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