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Seit Jahren wird bundesweit über Rolle und Ausstattung der Notaufnahmen gesprochen.

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Streit um Gebühren in der Notaufnahme: Wie die Notaufnahmen in Berlin entlastet werden können

Mit Husten zur Notaufnahme: Kassenärzte wollen für solche Fälle eine Gebühr. Senatorin Kolat ist dagegen – und sieht Versäumnisse bei den niedergelassenen Medizinern selbst.

In Berlins Gesundheitswesen hat der Vorschlag, von vermeintlichen Notfallpatienten eine Gebühr zu verlangen, für Empörung gesorgt. „Wenn Patienten eine Notaufnahme aufsuchen, empfinden sie sich als Notfall“, sagte Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) dem Tagesspiegel. „Viele kommen mit Schmerzen. Sie haben ein Recht darauf, dass ihre Beschwerden rasch abgeklärt werden und sie professionelle Hilfe bekommen.“ Dies sei zuerst Aufgabe der niedergelassenen Ärzte selbst – und deren Bundeschef Andreas Gassen hatte ja angeregt, Patienten mit einer Gebühr davon abzuhalten, wegen kleinerer Beschwerden die Klinik statt die Praxis aufzusuchen.

Senatorin Kolat sagte, die Kassenärztlichen Vereinigungen – Gassen sitzt deren Bundesverband KBV vor – seien gesetzlich verpflichtet, ambulante Versorgung auch außerhalb der Sprechzeiten sicherzustellen. „Sie erfüllen diese Pflicht aber offenkundig nur ungenügend.“ Sozialverbände und Patientenvereine sehen das ähnlich und warnten davor, sozial schwache Patienten von der Behandlung auszuschließen.

Senatorin Dilek Kolat: Praxen sollen länger für Patienten öffnen

Mehr als 1,2 Millionen Fälle werden in den 39 dauergeöffneten Rettungsstellen Berlins pro Jahr behandelt: Einer früheren Einschätzung der Senatsgesundheitsverwaltung zufolge sind mindestens 50 Prozent der Patienten keine Notfälle. Viele Patienten, sagte Kolat, wüssten nicht, dass es den fahrenden Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigung, also der Berliner KV, gibt: „Das müssen die Kassenärzte ändern und sollten nicht versuchen, den schwarzen Peter anderen zuzuschieben.“

Der öffentlich-rechtlichen KV Berlin müssen alle rund 9 000 in der Stadt niedergelassenen Mediziner angehören, wenn sie gesetzlich Versicherte versorgen. Die KV hat so das Monopol bei der ambulanten Versorgung, ist für Praxiszulassungen zuständig, verteilt das Krankenkassengeld an die Ärzte.

Kassenarztchef Gassen: Gebühr letzte Möglichkeit bei Patienten, die reguläre Arztpraxis aufsuchen könnten

„Unser Anliegen ist es nicht, Notfallpatienten zur Kasse zu bitten“, sagte KBV-Chef Gassen am Montag. „Wir wollen, dass nur Patienten mit ernsten Erkrankungen, zum Beispiel bei Verdacht auf einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, eine Notfallambulanz der Krankenhäuser aufsuchen.“ Allerdings stelle man fest, dass immer mehr Patienten selbst tagsüber eine Notfallambulanz aufsuchen, obwohl sie zum niedergelassenen Arzt gehen könnten. Man bemühe sich deshalb um eine bessere Zusammenarbeit der Kliniken mit dem KV-Bereitschaftsdienst, also den von Senatorin Kolat erwähnten Notdienst der Niedergelassenen.

Tatsächlich legten die Kassenärzte kürzlich mit dem Marburger Bund, der die Mediziner in den Kliniken vertritt, ein Papier vor. Demnach sollen zwei Telefonnummern miteinander vernetzt werden: die 116117, die Bereitschaftsnummer der Praxisärzte, die viele Patienten nicht kennen – und die Notrufnummer 112, die beinahe jedermann kennt. Patienten sollen bei einer gemeinsamen Anlaufstelle 24 Stunden am Tag eine Ersteinschätzung bekommen. Vielen Patienten könne schon am Telefon geholfen werden.

Kritisiert die Kassenärzte: Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD).
Kritisiert die Kassenärzte: Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD).

© Kai-Uwe Heinrich

Solche Vorschläge begrüßen sogar die Rettungsstellenärzte – dabei sind sie es, die unter den vielen vermeintlichen Notfallpatienten leiden. Hinzu kommt, dass die Krankenkassen ambulante Fälle nicht so vergüten, dass die Kliniken damit nur annähernd ihre Kosten decken können. Timo Schöpke, einst Chef der Rettungsstelle im Kreuzberger Urban-Krankenhaus, nun Sprecher der Arbeitsgruppe Brandenburger Notaufnahmen, sagte: „Das zeigt in die richtige Richtung.“

Der bundespolitische Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hatte ähnliche Vorschläge präsentiert. „Eine Gebühr schlägt der Sachverständigenrat als letzte Lösung vor“, sagte KBV-Chef Gassen, „und dann auch nur für die Patienten, die weiterhin die Notfallaufnahmen der Krankenhäuser aufsuchen, wohlwissend, dass sie zu einem niedergelassenen Arzt gehen könnten.“

Berliner Barmer-Chefin: Mehr System ins Geld, statt mehr Geld ins System

Der Präsident der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz, ist gegen eine Gebühr – allerdings sei die übliche „Vollkaskomentalität“ auch problematisch. Um mehr Transparenz herzustellen, sei es sinnvoll, die Klinik schreibe der jeweiligen Kasse eine konkrete Rechnung – die Versicherung könne dann dem Patienten nahelegen, in welchen Fällen lieber eine Praxis aufzusuchen sei. Jonitz wies darauf hin, dass es sich für viele Praxisärzte nicht lohne, Fälle außerhalb gewöhnlicher Sprechzeiten zu versorgen. „Da fehlen Abrechnungsmöglichkeiten.“

Auch in den Praxen - viele Patienten gehen ohne Notfall in die Klinik.
Auch in den Praxen - viele Patienten gehen ohne Notfall in die Klinik.

© Reichel/dpa

Auch Berlins Barmer-Chefin Gabriela Leyh plädiert für bessere Bereitschaftsdienste der Kassenärzte. Grob vereinfacht unterstützt sie den erwähnten Vorschlag, ein Abfragesystem zu schaffen. Wer sich auf gute Beratung am Telefon und zeitnahe Termine beim niedergelassen Arzt verlassen könne, folge auch Vorschlägen einer Hotline eher. Sozusagen Bettruhe, Tee, Wadenwickel bei Kleinigkeiten, ein Hausarztbesuch bei anhaltenden Beschwerden, eine Eilfahrt in die Rettungsstelle im Akutfall. Mehr System ins Geld, statt mehr Geld ins System.

Linke: Monopolanspruch der KV auf ambulante Versorgung endlich aufbrechen

Härter geht Wolfgang Albers (Linke), Chef des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus, die KV-Ärzte an: „Außerhalb der üblichen Praxisöffnungszeiten, an Wochenenden und Feiertagen pfeifen sie regelmäßig auf die Nöte und Ängste ihrer Patienten und überlassen sie den Kliniken, die für diesen zusätzlichen ambulanten Versorgungsaufwand weder adäquat ausgerüstet sind, noch angemessen vergütet werden.“

Es gelte den „Monopolanspruch“ der Niedergelassenen auf die ambulante Versorgung „endlich aufzubrechen“. Besser sei es, die Kliniken versorgten diese Patienten – das dafür nötige Gelder könnte aus dem Topf kommen, den die Krankenkassen der KV für „nicht erfüllte“ Versorgung zahlen.

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