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Berlin: Streit um Jodtabletten für den Atom-Ernstfall

Kritik an geplanter Pillenausgabe für Potsdamer

Babelsberg - Die geplante Versorgung der Babelsberger mit Jodtabletten für den Atom-Ernstfall steht auf der Kippe: Eigentlich sollten Anwohner, die im Vier-Kilometer-Radius um den Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums in Wannsee leben, sich ab dem 1. September präventiv mit Jod eindecken können. Jetzt aber haben das Landesgesundheitsministerium, die Apothekenkammer Brandenburg und der Berliner Senat Zweifel an dem Plan angemeldet.

Die vorsorgliche Ausgabe der Tabletten werde erneut geprüft, teilte Stadtsprecher Thomas Joerdens gestern mit. Wegen der rechtlichen Bedenken sei ein Treffen mit der Verwaltung und dem Ministerium sowie weiteren Experten geplant. Bis dahin werde sich die Stadt nicht äußern. Die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt hält von der Ausgabe jedenfalls nichts. „Es ist Aufgabe der Behörden, für Ruhe zu sorgen und keine Unruhe zu stiften“, sagt Sprecherin Marie-Luise Dittmar. Berlin werde die Tabletten nur im Ernstfall verteilen. Nur so könne man sicherstellen, dass alle versorgt werden. Die Apothekerkammer Brandenburg verweist auf das Merkblatt der Strahlenschutzkommission. Demnach sind Jodtabletten – wenn überhaupt – nur nach ausdrücklicher behördlicher Aufforderung einzunehmen. Es sei „nutzlos und sogar schädlich“, eine Jodblockade ohne Aufforderung durchzuführen. Zu groß sei das Risiko von Nebenwirkungen. „Apotheker raten von der Einnahme auf eigene Faust ausdrücklich ab.“

In Potsdam sind 600 000 Jodtabletten auf Lager. Sie liegen in den Schränken von Feuerwehr und Katastrophenschutz. Im Ernstfall können sie Schilddrüsenkrebs verhindern und Leben schützen. Im Katastrophenfall sollen die Tabletten von Feuerwehr und Taxifahrern vor Hauseingängen in der Vier-Kilometer-Zone um den Reaktor abgelegt werden.

Bei der Bürgerinitiative „Evakuierungsgebiet Babelsberg“ hatte man sich auf die Ausgabe bereits eingestellt, sagt Georg Bitcher. „Es besteht ein dringender Handlungsbedarf. Auch Kindergärten und Schulen sollten ein Tablettendepot anlegen“, so Bitcher. „Spätestens vier Stunden nach Austreten der radioaktiven Wolke müssen die Tabletten eingenommen werden.“ Der Atomkritiker und Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, Sebastian Pflugbeil, kann die Bedenken der Behörden nicht nachvollziehen. „Es ist ein Problem, im Ernstfall die Tabletten rechtzeitig an den Mann zu bringen.“ Würden die betroffenen Anwohner ausreichend informiert, sei das Risiko von Nebenwirkungen klein: „Pickel, Hitzewallungen oder Herzrasen bei einigen stehen in keinem Verhältnis zu dem Schaden, den man verhindern kann.“ Tobias Reichelt

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