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Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD)

© dpa

Streitfall Flüchtlingscamp: Stresstest für die Koalition

Im Streit um den Umgang mit dem Flüchtlingscamp am Oranienplatz üben sich SPD und CDU in Schadensbegrenzung. Dennoch rumort es hinter den Kulissen, die Regierungspartner machen einander Vorwürfe.

Von
  • Sabine Beikler
  • Ulrich Zawatka-Gerlach

Ganze vier Minuten dauerte am Dienstag die Senatssitzung. Vorausgegangen aber war ein Vier-Augen-Gespräch zwischen dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und dem CDU-Parteichef und Innensenator Frank Henkel. Das Gespräch hatte nur einen Inhalt: der Umgang mit dem Flüchtlingscamp am Oranienplatz. Henkel bat als Parteichef um Einsetzung eines Koalitionsausschusses, in dem das weitere Verfahren besprochen werden soll. Nach dem mit Henkel nicht abgesprochenen Rückzug von Wowereit als BER-Aufsichtsratschef Anfang 2013 und dem Hickhack um das geplante Stadtwerk im vergangenen Herbst ist das der dritte Koalitionsausschuss, der „zeitnah“ einberufen werden soll. Doch das Wort „Koalitionskrise“ weisen sowohl SPD als auch CDU entschieden von sich. „Nicht jeder Koalitionsausschuss bedeutet Krach“, sagte Wowereit, „es geht darum, eine gemeinsame Linie zu finden“.

Der koalitionsinternen Schadensbegrenzung diente auch ein vertrauliches Gespräch zwischen Henkel und SPD-Landeschef Jan Stöß, das schon am Montag stattfand. Beide waren sich letztlich einig, dass Berlin keine „Hamburger Verhältnisse“ wolle. Also keine Straßenschlachten zwischen Linksautonomen und der Polizei. Andererseits gibt es selbst bei stramm linken Sozialdemokraten kein großes Verständnis mehr für das Camp auf dem Oranienplatz. „Das kann keine Dauerlösung sein, das wissen alle“, sagte die SPD-Kreisvorsitzende in Friedrichshain-Kreuzberg, Julia Schimeta, dem Tagesspiegel. „Trotzdem müssen wir behutsam vorgehen, eine einfache Lösung des Problems gibt es nicht, sonst hätten wir die längst gefunden.“

Eine Räumung des Camps als „ultima ratio“

Seit Anfang Dezember hatten verschiedene SPD-Politiker dem Innensenator und CDU-Landeschef Henkel in persönlichen Gesprächen klar gemacht, dass eine Räumung des Camps als „ultima ratio“ nur dann in Frage komme, wenn Verhandlungen über einen Konsens mit dem Bezirksamt scheitern sollten. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel müsse gewahrt bleiben. Das habe Henkel, so hört man aus SPD-Kreisen, offenbar missverstanden und stattdessen öffentlich seine Ultimaten formuliert. Ohne Abstimmung mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der nun nicht bereit ist, die Verantwortung für Henkels Ungeschicklichkeit zu übernehmen.

Andererseits wurde am Dienstag deutlich, dass sowohl der SPD-Landesverband als auch die Fraktion im Abgeordnetenhaus keinen ernsthaften Koalitionsstreit vom Zaun brechen wollen. Die Sache sei „dumm gelaufen“ für den Innensenator, hieß es. Dies sei „keine leichte Zeit“ für ihn, aber die Wogen würden sich in den nächsten Wochen schon wieder glätten. Irgendwelche Krisensitzungen sind nicht geplant. Der SPD-Landesvorstand tagt turnusmäßig erst am 13. Januar. Es gibt aber hier und da Kritik an den eigenen Genossen im Senat, weil sich die Landesregierung unter Verweis auf die bezirklichen und bundespolitischen Zuständigkeiten bisher elegant aus dem Konflikt um den Oranienplatz herausgehalten habe.

"Völliges Unverständnis über die SPD"

Henkels Senatsvorlage, den Bezirk anzuweisen, eine Räumung des Camps zu veranlassen, wurde von Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) nicht mitgezeichnet. So kam die Vorlage nicht auf die Tagesordnung. Als sich das nach der turnusmäßigen Staatssekretärsrunde am Montag abzeichnete, grummelte es in der Berliner CDU. Es sei „im Vorfeld nicht signalisiert worden, dass die Vorlage nicht mitgezeichnet wird“, hieß es aus CDU-Kreisen. Deshalb sei man doch „überrascht“ gewesen. Wie soll man damit umgehen? Ist die Koalition noch absprachefähig? Was ist der Regierungsauftrag? Präsidium, geschäftsführender Fraktionsvorstand und die CDU-Senatoren kamen deswegen am Abend in der Landesgeschäftsstelle zu einer Sitzung zusammen. Es sei ein „Austausch von Informationen“, eine „kollegiale Besprechung“, ein „Meinungsaustausch“ gewesen, hieß es übereinstimmend. Von einer großen Koalitionskrise sei dort keine Rede gewesen.

Entsetzen bei der CDU in Friedrichshain-Kreuzberg

Dennoch machten am Dienstag manche CDU-Politiker ihrer Verärgerung über das Vorgehen des Koalitionspartners Luft. Es herrsche „völliges Unverständnis über die SPD“, fasste der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Michael Braun, der am Abend zuvor bei der Runde von Partei- und Fraktionsführung dabei war, die Stimmung zusammen. „So lassen wir uns nicht unseren Landesvorsitzenden vorführen“, sei die von vielen geteilte Meinung. Er und andere CDU-Vertreter zweifeln zudem daran, dass beim Oranienplatz weitere Verhandlungen hilfreich sind. „Wir haben einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, wie das Problem gelöst werden kann“, sagt Braun mit Bezug auf die vorerst gebremsten Pläne des Innensenators. „Wer etwas anderes will, soll jetzt seinen Vorschlag auf den Tisch legen.“ Es sei an der SPD klarzustellen, wer jetzt mit wem und mit welchem Ziel über was verhandelt.

Noch größer ist der Ärger bei der CDU in Friedrichshain-Kreuzberg. „Ich bin entsetzt“, sagte ihr Kreisvorsitzender Kurt Wansner am Dienstag mit Bezug auf die vorerst gestoppte Räumung. Es sei „kein freundlicher Akt“ der SPD und ihrer Senatoren, „die Ankündigung des Innensenators ins Leere laufen zu lassen“. Von den in der SPD favorisierten erneuten Verhandlungen mit Vertretern des Flüchtlingscamps hält Wansner nichts, da es dort keine verlässlichen Ansprechpartner gebe. „Die Flüchtlinge spielen keine Rolle, die linke Szene nutzt die aus“, fasst er seine Beobachtungen zusammen.

Für den CDU-Innenpolitiker Robbin Juhnke ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Zelte vom Oranienplatz verschwinden. „Die SPD kann es sich nicht leisten, dauerhaft gesetzeswidrige Zustände zu dulden“, sagt er. Aber man sei „nun mal in einer Koalition“, da müsse man gemeinsame Wege suchen.

Auch andere CDU-Politiker machen deutlich: Für ihre Partei ist die „Wiederherstellung der Rechtsordnung“ am Oranienplatz ein wichtiges politisches Ziel. „Irgendwann muss der Staat sein Recht durchsetzen. Da gibt es kein Vertun“, sagte ein hochrangiger CDU-Politiker. Dass Henkel das Camp fast ein Jahr lang „geduldet“ hat, finden einige Christdemokraten sogar positiv und merken an, ohne das von Henkel gesetzte Ultimatum hätte die SPD-Integrationssenatorin Dilek Kolat überhaupt nicht in Eigenregie verhandeln können.

Als Henkel seinen Zeitplan vorlegte und zwei Termine nannte, waren diese nicht zuvor besprochen worden: die Einbringung seiner Vorlage in den Senat und die beabsichtigte Zustimmung darüber am 7. Januar und der frühestmögliche Räumungstermin am 18. Januar. Auch in Kreisen der CDU-Spitze ist man sich klar, dass das zweimalige Setzen eines Termins ohne hundertprozentige Rückendeckung des Koalitionspartners, die es nicht gegeben hat, ein strategischer Fehler war. Offiziell heißt es – und das hat auch Wowereit betont –, dass Henkels Senatsvorlage weiterhin in der Mitzeichnung ist. Nur mache die SPD eine „Schleife“ mehr und setze erneut auf Gespräche.

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