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Das Bürgeramt - nicht immer verdient es seinen Namen.

© Wolfgang Kumm / dpa

Streitgespräch zur Berliner Verwaltung: „Vieles geht, wenn man unbürokratischer denkt“

Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt und Staatssekretär Fank Nägele diskutierten bei der IHK, wie der öffentliche Dienst reformierbar ist.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

„Ich möchte es gern noch dezentraler!“ Das sagt Frank Nägele, der als Staatssekretär in der Senatskanzlei für die Verwaltungsreform zuständig ist. Er fände die Einrichtung von Kiezämtern gut, „jeweils für 20- bis 30.000 Berliner“. Momentan hat der öffentliche Dienst in der Hauptstadt aber andere Sorgen. Die bezirklichen Bürgerämter stehen vor dem Kollaps, wer einen Termin benötigt, muss Zeit mitbringen und starke Nerven haben.

Corona verschärft die Notlage, hat sie aber nicht verursacht. Zeit für ein Streitgespräch, das am Montag die Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin organisierte. Staatssekretär Nägele und Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt diskutierten im Netz über die Frage: Quo vadis Berliner Verwaltung? Moderiert wurde die Veranstaltung vom IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder, der die Meinung vertrat, dass sich Berlin bei der Verwaltungsmodernisierung „größere Sprünge schon noch wünschen dürfte“.

Ein großes Thema dabei ist die Digitalisierung der Ämter und Behörden. Das Urteil darüber war einhellig. Maroldt beklagte die „organisierte Unzuständigkeit“, wenn es darum geht, die Verwaltung für die Zukunft fit zu machen. Eder merkte an, dass für die Digitalisierung in diversen Senatsverwaltungen insgesamt sechs Spitzenkräfte zuständig seien.

Wäre es nicht besser, wenn eine Person federführend sei? Der Staatssekretär räumte ein, dass es immer noch öffentliche Dienstleister gibt, „die im Gestern arbeiten“ und nannte beispielhaft die Standesämter. Andererseits sei das Landesamt für Einwanderung „komplett durchdigitalisiert“ und ein bundesweites Vorbild.

Hoffnung auf junge, flexible Nachwuchskräfte

Nägele setzt seine Hoffnung auf die jungen, flexiblen Nachwuchskräfte, die in den letzten fünf, sechs Jahren in die Verwaltung kamen. Wegen der radikalen Sparpolitik im vergangenen Jahrzehnt gebe es im personellen Bereich aber einen Bruch, die Lücke schließe sich nur allmählich. Ein Problem sei auch der hohe Krankenstand.

Chefredakteur Maroldt, der persönlich mit den Mitarbeitern der Berliner Behörden bisher „überwiegend gute Erfahrungen“ gemacht hat, sieht neben dem Bezahlungs- ein Imageproblem. Beides sei „nicht prickelnd“, es gebe attraktivere Arbeitgeber in der Stadt. Und es fehle eine moderne Führungskultur. Warum arbeite der Senat da nicht mit dem guten Ansehen, das Berlin immer noch habe? „Ihr seid Mitarbeiter einer der geilsten Städte der Welt“ – das wäre doch ein schönes Motto.

Vor gut einem Jahr haben alle Senatsmitglieder und die Bezirksbürgermeister in einem feierlichen Akt den „Zukunftspakt Verwaltung“ unterschrieben. Das wichtigste Ziel: Eine bessere Qualität der kommunalen Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Berliner Unternehmen. Dafür müsse die „gesamtstädtische Steuerung der Verwaltung optimiert“ werden. Wann sei denn die Zukunft endlich da?, fragte IHK-Hauptgeschäftsführer Eder. „Ist die Politik wirklich willens, die Reformpläne umzusetzen?“

Der Senat soll steuern, die Bezirke umsetzen

Rein theoretisch hat Nägele dazu eine klare, auch kritische Haltung. Die Senatsbehörden müssten steuern und sich nicht darum kümmern, wie die festgelegten Ziele im Detail zu realisieren seien. Diese „umsetzende Rolle“ sei Sache der Bezirke. Um diese Aufgabenteilung zu erreichen, müsse ein Mentalitätswechsel stattfinden. Zielvereinbarungen zwischen Haupt- und Bezirksverwaltung sollten dabei helfen. Für die Verankerung solcher Vereinbarungen, aber auch für die Vereinheitlichung der Geschäftsbereiche in den Bezirksämtern werde der Senat noch in diesem Jahr ein großes Gesetzespaket vorlegen, kündigte Nägele an.

Andere Vorhaben, wie die Wiedereinführung der Fachaufsicht oder die Veränderung des Konsensprinzips in der Bezirksverwaltung, seien nicht mehr machbar, sagte der Staatssekretär. Dafür müsste die Landesverfassung geändert werden, dafür sei es in dieser Wahlperiode zu spät.

Maroldt warf der rot-rot-grünen Koalition auch deshalb vor, „Möglichkeiten verspielt zu haben“. Und er bedauerte sehr, dass erst Corona kommen musste, damit beispielsweise in der Verkehrspolitik auf einmal Dinge möglich wurden, die vorher undenkbar waren – als Beispiel nannte er die Pop-up-Radwege. „Vieles geht, wenn man unbürokratischer denkt“, so Maroldt.

"Berlin ist seit 100 Jahren eine Stadt der Bezirke"

Auch Nägele befand: Es müsse „besser flutschen“ in der Berliner Verwaltung. Den Vorschlag Eders, etwa die Verkehrs- und Baupolitik in Berlin vollständig zu zentralisieren, griff er aber nicht auf.

Der Staatssekretär forderte zwar eine „stärkere Hierarchisierung“ der Verwaltungsstruktur, erinnerte aber an die Unterschiede zwischen Hamburg und Berlin. Groß-Hamburg sei entstanden, indem eine selbstbewusste Handelsstadt „ein paar Fischerdörfer requiriert“ habe. Dagegen sei Berlin seit hundert Jahren „eine Stadt der Bezirke, mit vielen großen, stolzen Rathäusern“. Damit müsse man leben.

„Brauchen wir ein Volksbegehren für eine bessere Verwaltung?“, fragte Eder am Ende des einstündigen Streitgesprächs. Nein, dies will Nägele nicht einem Plebiszit überlassen. „Es ist unsere ureigene Aufgabe, das alles auf die Kette zu bringen“. Ansprechpartner des Senats sei bei diesem Thema das Abgeordnetenhaus, und es folgt der schöne Satz: „Eine funktionierende Verwaltung ist eine Stütze der Demokratie.“

Über hundert Zuhörer haten sich virtuell zugeschaltet, auch die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, wäre gern dabei gewesen. „Aber vom Büro aus war mir das leider technisch nicht möglich“, chattete sie. Ja, so ist das manchmal mit der digitalen Verwaltung in Berlin. Da mussten Nägele, Maroldt und Eder mitfühlend lachen.

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