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Berlin: Strohrum statt Sushi

Von André Görke Kreuzberg. Bevor der Flieger geht, geht noch eine Latte Macciato.

Von André Görke

Kreuzberg. Bevor der Flieger geht, geht noch eine Latte Macciato. Auf dem Mehringdamm zieht der Feierabendverkehr vorbei, Autos hupen. Im Biergarten des Restaurants „Kaiserstein“ ist es an diesem Nachmittag auszuhalten. Kein Stress mehr, bitte. Ingmar lächelt. Der Stress ist vorbei. Er greift in die Tasche und legt eine Autobahnkarte auf den Tisch. „Japan“ steht auf dem Cover, und am Kreuzberg ist die Fußball-Weltmeisterschaft plötzlich so nah. „Komm, lass uns ein Bier trinken, ein letztes noch“, sagt Dirk, Ingmars Kumpel. „Wir haben jetzt alles.“ Am nächsten Morgen geht in Tegel der Flieger. Nach Japan. Zur Weltmeisterschaft.

Der Weg zum Flugschalter hat Monate gedauert. Als Dirk, der Fußballfan, im Januar im Reisebüro am Alexanderplatz auftauchte, hatte er keine Ahnung, wie kompliziert die Reiseplanung sein würde. Dirk war vor sechs Jahren in England dabei, bei der Fußball-Europameisterschaft. Auch bei der WM in Frankreich und vor zwei Jahren in Belgien und den Niederlanden. Mein Gott, eine Reise zur Fußballweltmeisterschaft in Asien. Was soll schon schief gehen? „Sind ja noch fünf Monate“, sagte er damals.

Dirk, Ingmar und die drei anderen Fußballfans stehen am Wochenende beim BFC Dynamo, einem Berliner Amateurklub. Für Auswärtsspiele benötigen sie in der Landesliga einen Busfahrschein. Aber Japan, das ist eine andere Liga. Wie, bitte schön, plant man eine Auswärtsfahrt nach Tokio?

Als Dirk damals im Reisebüro stand, hatte er kein Hotel, keine Eintrittskarten, sondern „nur das Grundgerüst“, sagt er. „Ich hatte zwei Wochen Urlaub, bei 2500 Euro lag meine Schmerzgrenze.“

Auf dem Reisemarkt tauchten im Frühjahr die ersten WM-Angebote auf. „Vietentours“ wollte rund 3000 Euro haben, First-Class-Hotel und Freizeitprogramm inklusive. Die Lufthansa bot den Linienflug von Frankfurt am Main nach Tokio für 900 Euro an. „Langweilig, zu teuer“, sagte Dirk, und der Mann hinter dem Schalter nickte. „Der Typ war Profi, ein echter Freak“, sagt Dirk. Nach einer Stunde hatte der Mann einen Flug gefunden. Für 875 Euro. Hin und zurück. „Mit British Airways, natürlich nur auf Option“, sagt Dirk. Denn was soll er in Japan bei einer Fußballweltmeisterschaft ohne Eintrittskarten?

Auch Andy und Tobias hatten sich im Januar entschieden, mit zur WM zu fliegen, im Februar dann Alex und Ingmar. Vier Monate hatten sie ja noch. Wird schon klappen, sagten sie. Beim Fußballweltverband, der Fifa, und dem Deutschen Fußballbund (DFB) haben sie im Februar Karten bestellt, „für sieben Spiele“, sagt Dirk. Eine Karte bekamen sie schnell, „nur leider für das Spiel zwischen Saudi-Arabien und Kamerun.“ Ingmar hatte Glück und staubte Tickets für zwei Vorrundenspiele der deutschen Mannschaft ab.

Dem DFB standen 10 500 Karten zur Verfügung, 3000 Tickets ist er losgeworden, und ob so viele Fans überhaupt nach Asien reisen, ist ungewiss. Bei der WM in Frankreich vor vier Jahren haben sie für eine Eintrittskarte 30 Euro bezahlt, „auf dem Schwarzmarkt“, sagt Dirk. In Japan fangen die Preise bei 65 Euro an und enden bei 925 Euro für einen Sitzplatz beim Endspiel. Dirk plant Fußballreisen gerne, und: vor allem gut. Die Option für Flugtickets hatten sie in der Tasche, für die Eintrittskarten bestand zumindest Hoffnung. Die Entscheidung fiel ohnehin erst im Mai, also plante Dirk weiter: Japan ist etwas größer als Deutschland, die Stadien liegen hunderte Kilometer auseinander. „Die Bahn soll pünktlich sein“, hat Dirk erfahren, „aber teurer als ein Mietwagen.“ Also hat er im April in Irland angerufen, bei der Zentrale der Firma „Hertz“, und hat einen Bus in Japan gemietet. Drei Tage in Sapporo, acht in Tokio. Kosten: 1200 Euro.

Bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren war Dirks Job einfach. Da konnten sie im Kollektiv mit den deutschen Fußballfans auf Campingplätzen schlafen und billig Dosenbier trinken. In Japan kostet ein 12er-Pack Bier im Supermarkt 20 Euro, und „Campingplätze gibt es nicht“, sagt Dirk. Hotel? „130 Dollar die Nacht“. Pension? „Auch nicht viel billiger“. Blieb die Jugendherberge. „Wir zahlen 35 Euro pro Nacht“, sagt Ingmar. „Aber mit Frühstück.“ Immerhin.

In der Küche stapelten sich die Bücher. Diercke-Weltatlas. Polyglott. Marco-Polo. In einem Reiseführer haben sie die japanischen Zollbestimmungen gelesen: Alkohol darf importiert werden, „aber nur drei Flaschen“, sagt Dirk. „Ich habe Wodka im Koffer, ein Kumpel Strohrum.“ Ingmar nimmt Wein mit. „Kontrastprogramm“, sagt er.

Das Bier dort soll schmecken, nur was sie essen können, wissen sie nicht. In Berlin hat Ingmar Sushi probiert, „nicht schlecht, ich weiß nur leider nicht, was drin ist.“ Ingmar kann gut Englisch. Aber asiatische Schriftzeichen? „Notfalls gehen wir zu McDonalds“, sagt Dirk. Einer schluckt seit Tagen Durchfalltabletten. Präventionsmaßnahmen. Zeit für Kultur haben sie sich gelassen, „wir sind ja keine Fußball-Verrückten“, sagt Dirk, „das Land wollen wir auch sehen.“ Thermalbäder, Gärten, Paläste. Am Freitagabend sind sie nach elf Stunden Flug in Sapporo gelandet. „Wir haben nichts vergessen“, sagt Ingmar. Das Bier? „Mehr Prozente, weniger herb.“ Melonen kosten fast 20 Euro das Stück. „Aber wir haben ja Äpfel dabei.“ Und guten Kaffee. „Den haben sie hier auch nicht.“

Wer sich kurzfristig für eine Reise zur Fußball-WM entscheidet, kann vergünstigte Inlands-Flüge buchen. Die japanischen Fluggesellschaften ANA, JAL und Japan Air System bieten bei Buchung von zwei bis fünf innerjapanischen Flügen das Ticket pro Strecke für 57 Euro an, so die Japanische Fremdenverkehrszentrale in Frankfurt (Tel. 069/203 53).

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