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Demonstrieren gegen den erzwungenen Auszug. Hier bei eine Demo am Hermannplatz im April 2014.

© Britta Pedersen/ dpa

Update

Studie der Humboldt-Universität: Immer mehr Zwangsräumungen in Berlin

Fristlose Wohnungskündigungen nehmen weiter zu. Das zeigt eine Studie der Humboldt-Universität. Die Hilfen für Mieter, die von Vertreibung bedroht sind, werden zugleich immer unzureichender.

Berlin hat sich zur Hauptstadt der Zwangsräumungen entwickelt. Mit steigenden Mieten und immer knapper werdendem Wohnraum nimmt auch das Risiko zu, dass Hausbesitzer versuchen, säumige Mieter per Klage und Räumung vor die Tür zu setzen. Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung von Wissenschaftlern des Institutes für Sozialwissenschaften sowie Stadt- und Regionalsoziologie der Berliner Humboldt-Universität. „Kündigungen, Räumungsklagen und Zwangsräumungen haben sich zu weit verbreiteten Instrumenten der Ertragssteigerung entwickelt“, schreiben die drei Autoren in ihrem Fazit.
Es gibt in Berlin allerdings bisher keine amtliche Statistik, mit der sich diese dargelegte Entwicklung zahlenmäßig belegen lässt. Die zuständigen Bezirke, Arbeitsagenturen und Gerichte sind zu keiner kontinuierlichen Erfassung verpflichtet. Die Verfasser der Studie haben ihre Erkenntnisse deshalb in mühevoller Kleinarbeit „aus einem Steinbruch verschiedener Daten“ zusammengetragen. So konnten sie das Ausmaß und die Struktur des Berliner Räumungsgeschehens der vergangenen Jahre bis 2012 in etwa rekonstruieren.

Mietrückstände sind der häufigste Klagegrund

Danach stieg die Zahl der anberaumten Zwangsräumungen in Berlin allein von 5012 im Jahr 2009 auf bereits 6777 im Jahr 2011. Vermutlich gab es auch entsprechend viele Räumungen. Dies muss aber nicht zwangsläufig sein, da nicht jede angekündigte Wohnungsräumung tatsächlich durchgeführt wird. Der häufigste Grund für eine Räumungsklage sind nach Angaben der Studie Mietrückstände. Ist der Mieter zwei Monate lang mit seinen Zahlungen in Verzug, so kann ihm bereits außerordentlich und fristlos gekündigt werden. Weitere Gründe für eine solche Kündigung und nachfolgende Klage können erhebliche Lärmbelästigungen der Nachbarn sein, unerlaubte Untervermietung oder ein tiefgreifendes „Zerwürfnis zwischen Mieter und dem Hauseigentümer“.

Es gebe heute keinen bestimmten Typ der von Zwangsräumung Betroffenen mehr, heißt es weiter. Das verbreitete Klischeebild des Alkoholikers, Langzeitarbeitslosen oder der sozial schwachen Familie ist offenbar längst überholt. „Der Mietschuldner zieht sich heute durch alle Gesellschaftsschichten“, steht in der Studie. Zugleich heißt es aber einschränkend, dies solle nicht darüber hinwegtäuschen, „dass die Mehrzahl der Hilfesuchenden nach wie vor die Armen sind“.
Angesichts des „steigenden Verwertungs- und Verdrängungsdrucks“ seien öffentliche Hilfen für bedrohte Mieter dringender denn je, betonen die Autoren. Stattdessen verschärfe sich auch dort der Spardruck. Die zuständigen Bezirke seien bei der möglichen Übernahme von Mietschulden oder Vermittlung in sichere Sozialwohnungen zunehmend überfordert. „Das Hilfssystem kann auf die veränderten Wohnungsnotlagen nicht mehr angemessen reagieren.“

Bezirke suchen händeringend nach Plätzen für Wohnungslose

In der Folge würden immer mehr zwangsgeräumte Mieter in Wohnheimen untergebracht, deren Betreiber sich an der wachsenden Not teils bereicherten. Sie nutzen laut Studie „krisenbedingte Marktchancen“ aus. Denn häufig suchen die Bezirke händeringend nach Plätzen für Wohnungslose und akzeptieren unter diesem Druck finanziell für sie ungünstige Mietverträge. Wie berichtet, besteht das selbe Problem derzeit auch in der Flüchtlingshilfe. Dort gibt es sogar Korruptionsvorwürfe hinsichtlich der Vergabe von Heimen für Asylbewerber.
„Eine würdige Wohnung sollte kein Privileg, sondern ein Recht für alle sein“, schreiben die Autoren abschließend. Die genauen Ergebnisse ihrer Studie wollen sie in der kommenden Woche ausführlich vorstellen.
Mit der Vertreibung von Berliner Mietern beschäftigt sich auch unsere Tagesspiegel-Serie „Häuserkampf“. Die ganze Serie finden Sie ab Montag im Internet unter: www.haeuserkampf.tagesspiegel.de.

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