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Vier Fahrspuren, ein Versuch. Auf dem Kaiserdamm ist Radfahren seit 2012 erlaubt - aber auch gefährlich.

© Doris Spiekermann-Klaas

Studie zum Radverkehr: Gefahr für Radler auf der Fahrbahn

Radfahrer auf der Straße sind besser zu sehen als auf dem Radweg – aber deshalb noch lange nicht sicherer unterwegs, wie eine neue Studie zeigt.

Viele wissen es nicht, die meisten verzichten darauf, andere ärgern sich darüber: Auch wo ein Radweg existiert, dürfen Radfahrer meist die Fahrbahn benutzen. Seit 1998 gilt diese Regel, die immer wieder zu teils aggressiven Belehrungen durch uninformierte Rechthaber am Steuer führt. Gerichte haben die Wahlmöglichkeit der Radfahrer über die Jahre weiter gestärkt, zuletzt auch das Oberverwaltungsgericht: Nur an besonders gefährlichen Straßenabschnitten dürfen sie noch durch die blauen Radweg-Schilder von der Fahrbahn ferngehalten werden. Vor allem routinierte und schnelle Radfahrer nutzen eher die Fahrbahn, die in aller Regel besser intakt ist als der seitliche Radweg und Konflikte mit Fußgängern und durch Ein- und Ausfahrten vermeidet. Hinzu kommt der Sicherheitsgewinn an Kreuzungen, wenn Radfahrer nicht hinter Büschen und geparkten Fahrzeugen neben dem Gehweg nahen, sondern im Sichtfeld der Autofahrer.

225 Kilometer Radwege sind noch benutzungspflichtig

In Berlin wurden und werden – fast ausschließlich auf Betreiben eines Pankower Anwalts – schon rund 40 Prozesse um die Aufhebung der Benutzungspflicht geführt, einige sogar in zweiter Instanz. Nach Auskunft der Verkehrsverwaltung sind von 848 Kilometern baulich angelegter Radwege noch etwa 225 benutzungspflichtig. Hinzu kommen 262 Kilometer Radfahrstreifen. Von denen sind 114 als benutzungspflichtig ausgewiesen. Bei den anderen ergibt sich die Pflicht meist indirekt – aus dem Rechtsfahrgebot.

Die Unfallforschung der Versicherer (UdV) hat jetzt betrachtet, ob und wie Radfahrer die Wahlmöglichkeit nutzen. Dazu wurden 108 Radwege untersucht, ein Viertel davon in Berlin, die anderen in diversen deutschen Großstädten. Eine Erkenntnis: Die Demontage der Schilder allein ändert nichts am Verhalten der allermeisten Radfahrer: eine ganz überwiegende Mehrheit von etwa 93 Prozent fuhr so oder so auf dem Radweg. Nur ein bis drei Prozent von jeweils 5000 gezählten Radfahrern fuhren auf der Fahrbahn. Kurioserweise waren es an benutzungspflichtigen Wegen sogar ein paar mehr als da, wo die Fahrbahn legal benutzt werden durfte. An einer anderen Stelle, wo einfach Fahrradpiktogramme auf die rechte Spur einer Hauptverkehrsstraße sowie gleichzeitig auf den daneben befindlichen Radweg gepinselt wurden, blieben die Verhältnisse ebenso konstant.

Zugleich widerlegte die Studie die verbreitete Annahme, dass Radfahrer auf der Fahrbahn per se sicherer unterwegs sind: Obwohl an sehr stark befahrenen Straßen (mit mehr als 10.000 Kraftfahrzeugen pro Tag nur jeder Hundertste auf der Fahrbahn radelte), ereigneten sich dort 18 Prozent der Radverkehrsunfälle. „An solchen Straßen sollte man als Radfahrer also überlegen, ob man doch lieber auf dem Radweg bleibt“, resümiert UdV- Infrastrukturexperte Jörg Ortlepp. An den weniger stark befahrenen untersuchten Strecken war die Tendenz nicht so deutlich: 23 Prozent des Radverkehrs spielten sich auf der Fahrbahn ab – und 30 Prozent der Radverkehrsunfälle.

Falschparken und Abbiegeunfälle wurden nicht untersucht

Außerdem untersuchten die Unfallforscher eine Hauptstraße in Hamburg, auf der der angejahrte Geh- und Radweg durch einen schmaleren neuen Gehweg sowie einen Radfahrstreifen auf der ebenfalls sanierten Fahrbahn ersetzt wurde. Ergebnis: Vorher fuhr niemand auf der Fahrbahn und jeder Dreizehnte auf dem Gehweg. Danach nutzten zwar zwei Drittel den Radfahrstreifen, aber die anderen zogen verbotenerweise den Gehweg vor.

UdV-Leiter Siegfried Brockmann resümiert, dass die Aufhebung der Benutzungspflicht sich ohne zusätzliche Maßnahmen weder erkennbar aufs Verhalten noch auf die Verkehrssicherheit auswirke. Entscheidender sei die Beschaffenheit von Kreuzungen. Das gilt insbesondere für die in Berlin häufigste und folgenschwerste Unfallart, nämlich Zusammenstöße zwischen Abbiegern und geradeausfahrenden Radlern, die in dieser Studie nicht extra betrachtet wurde.

Viele Radfahrer halten sich von stark befahrenen Straßen partout fern, weil sie sich abseits des Autoverkehrs offenbar sicherer fühlen – zumindest jenseits von Kreuzungen. Entsprechend äußerten sich viele der 579 für die Studie befragten Radfahrer. 84 Prozent nannten ihre Sicherheit als wichtigsten Aspekt, nur 40 Prozent den Komfort. Welche Rolle die in Berlin allgegenwärtigen Falschparker auf den Radstreifen spielen, die Radfahrer zu gefährlichem Slalom zwingen, wurde allerdings nicht untersucht.

Der Autor hat 2013 den Selbstversuch gewagt und ist zweimal vom Theo zum Ernst-Reuter-Platz und zurück geradelt. Einmal auf dem Radweg und einmal – Achtung! – auf der Fahrbahn. Lesen Sie hier, wie es ihm dabei ergangen ist.  

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