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Berlin: Studienkonten vertreiben 40 000 Studenten

Überraschendes Gutachten vorgestellt / Große Mehrheit in der SPD-Fraktion für Flierls Gebührenmodell absehbar

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

WAS AUS DEN BERLINER UNIVERSITÄTEN WIRD

Nach der Einführung von Studienkonten an den Berliner Hochschulen im Sommersemester 2005 werden sich voraussichtlich 35- bis 40 000 Studenten abmelden. Diese überraschend hohe Zahl wird in einem Gutachten prognostiziert, das Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) in Auftrag gab. In der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses zeichnete sich gestern auf der Klausurtagung in Leipzig eine breite Mehrheit für ein solches Studienkontenmodell ab, das der Senat im Grundsatz schon beschlossen hatte.

In der PDS-Fraktion ist es aber noch umstritten und Senator Flierl lässt sich Zeit mit der Vorlage eines Gesetzentwurfes. Nach rheinland-pfälzischem Vorbild soll den Studenten ein „Konto“ von etwa 200 Semesterwochenstunden für ihr Erststudium zugestanden werden. Das entspricht ungefähr der Regelstudienzeit plus einem ausreichenden „Puffer“. Wer länger studiert, muss zahlen. Die Hälfte des Geldes kommt den Berliner Hochschulen zugute; die andere Hälfte der Landeskasse.

Die spätere Ersetzung der Studienkonten durch klassische Studiengebühren, die pro Semester zu zahlen sind, bleibt in der SPD-Fraktion aber umstritten. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, Finanzsenator Thilo Sarrazin und SPD-Fraktionschef Michael Müller setzten sich auf der Klausurtagung vehement für Studiengebühren ein, aber viele SPD-Abgeordnete sind nur bereit, dem Studienkontenmodell „als Alternative zu Studiengebühren“ zuzustimmen. Über diesen Änderungsantrag der Parteilinken wird am Sonntag abgestimmt. Für Sarrazin sind die Studienkonten dagegen nur ein „gutes Einstiegsmodell“. Auch Wowereit geht davon aus, dass das Verbot von Studiengebühren im Hochschulrahmengesetz des Bundes vom Verfassungsgericht in Karlsruhe demnächst aufgehoben wird. Dann würden die CDU-geführten Südländer so schnell wie möglich Gebühren fürs Erststudium einführen; Berlin und andere Länder könnten diesem Wettbewerbsdruck nicht standhalten, sagte er.

Diese Entwicklung könnte durch eine Entscheidung der Föderalismus-Kommission, die Hochschulpolitik und -finanzierung vollständig den Ländern zu überlassen, noch beschleunigt werden. Sollte es so kommen, geht der Finanzsenator davon aus, dass frühestens ab 2007 bundesweit Studiengebühren erhoben werden könnten. Bis dahin gelte in Berlin das Studienkontenmodell. 2006 sind Abgeordnetenhauswahlen. Im Wahlkampf wird die SPD das heikle Thema nicht anfassen.

Gestern bekam der rheinland-pfälzische Kultusminister Jürgen Zöllner als Gast der SPD-Fraktion rauschenden Beifall, als er sich ausdrücklich für Studienkonten aussprach. Der Sozialdemokrat, der seit Jahren die SPD-Bildungspolitik in den Bundesländern koordiniert, lehnt Studiengebühren unter anderem ab, weil sie nicht sozial verträglich zu gestalten seien und einen „bürokratischen Apparat erzeugen, der seinesgleichen sucht“.

Der hochschulpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Bert Flemming, hieb in die gleiche Kerbe. Er plädierte dafür, die Abrechnung der einzelnen Studienleistungen, die bei Studienkonten notwendig sind, für einen Hochschul-Finanzausgleich zwischen den Ländern zu nutzen: Die Studienplätze auswärtiger Studenten sollten von deren Heimatländern finanziert werden. Das käme Berlin sehr entgegen, denn in der Hauptstadt gibt es 56 000 Studenten, die von auswärts kommen. Ansonsten ging Flemming mit den drei Berliner Universitäten hart ins Gericht. „Sie haben ein enormes Effizienzproblem, das nichts mit Geld zu tun hat.“ Viele Studienfächer würden doppelt und dreifach angeboten und oft stehe die Zahl der Studienplätze in keinem Verhältnis zur Zahl der Absolventen. So studieren in Berlin über 1600 Musikwissenschaftler, aber im Jahr 2002 hätten davon nur 49 das Studium erfolgreich abgeschlossen.

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