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Berlin: Suche nach Tablettensüchtigen: Barmer durchforstet Rezepte

In drei Monaten ließ sich ein Berliner Patient von 18 Ärzten 600 Tagesdosen Antidepressiva, massenweise Beruhigungsmittel und starke Schmerzmedikamente verschreiben – insgesamt 45 verschiedene Arzneien. Mengen, die einen Verdacht nahe legen: Der Patient ist medikamentensüchtig.

In drei Monaten ließ sich ein Berliner Patient von 18 Ärzten 600 Tagesdosen Antidepressiva, massenweise Beruhigungsmittel und starke Schmerzmedikamente verschreiben – insgesamt 45 verschiedene Arzneien. Mengen, die einen Verdacht nahe legen: Der Patient ist medikamentensüchtig. Wie viele Medikamentensüchtige es in Berlin gibt, ist nicht bekannt. Die Drogenbeauftragte des Senats, Elfriede Koller, geht von rund 50000 bis 80000 Menschen aus, die Medikamente in höchst riskanten Mengen konsumieren – 70 Prozent davon Frauen.

Doch jetzt hat sich die Barmer Ersatzkasse um Aufklärung bemüht. Die Krankenkasse hat anhand von Rezeptdaten gezielt nach offenbar medikamentenabhängigen Versicherten gesucht. Dazu hat die Kasse alle Verschreibungen für ihre rund 600000 Versicherten in Berlin und Brandenburg nach Art einer Rasterfahndung überprüft. Die Kriterien: ein Versicherter, der zum Beispiel in einem Quartal mindestens fünf Ärzte aufsuchte. Oder einer, der in drei Monaten mindestens zehn Arzneien verschrieben bekam, die ein hohes Suchtpotenzial haben, Psychopharmaka, Beruhigungs- oder Schmerzmittel. In jedem der vier bisher untersuchten Quartale 2003 stießen die Kassenexperten auf durchschnittlich 35 Personen, bei denen der massive Arzneieinsatz medizinisch nicht nötig war. Die Barmer hat einen Marktanteil von 15 Prozent in Berlin und Brandenburg. Rechnet man diesen Wert hoch, dann wären es Quartal für Quartal etwa 230 gesetzlich Versicherte, die diese Suchtsymptome aufweisen. Selbst Mediziner übersehen oft die Anzeichen der Sucht. Die Barmer hat jetzt 100 Ärzte angeschrieben und auf ihre suchtgefährdeten Patienten hingewiesen. Die Kasse kooperiert dabei mit der Kassenärztlichen Vereinigung. Außerdem wenden sich Mitarbeiterinnen der Barmer direkt an die auffälligen Versicherten und versuchen, ihnen Hilfe zum Ausstieg zu zeigen, sagt Arzneimittelexpertin Ulrike Faber von der Barmer Ersatzkasse.

Hilfe für Medikamentenabhängige bietet die Selbsthilfegruppe Sekis unter Telefon 892 66 02 oder im Internet unter www.sekis.de

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