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Berlin: Swimming in the rain

Das Jammern übers Wetter überlassen sie anderen: Hartgesottene ziehen jetzt im Freibad ihre Bahnen oder sitzen im Straßencafé – und außerdem wird es bald wieder schöner

Über das Wetter jammern? Im Bett bleiben, die Decke über den Kopf ziehen? So mögen gestern früh viele gedacht haben. Der nasskühle Sonnabend mit seinen düsteren Wolken gab einen Vorgeschmack auf die Vergänglichkeit der Sommerfreuden, auf den kühlen Charme des Herbstes. Aber der spröde Tag machte bei einem kleinen Rundgang auch deutlich, dass Berliner hart im Nehmen sind, dass viele das Wetter nicht als graues Elend empfinden, sondern es mit Spaß und Gelassenheit zu ertragen wissen.

Im Tiergarten etwa, an der Fußgängerallee zwischen Neuem See und Siegessäule, lässt sich mittags auf den ersten Blick weit und breit kein Mensch erkennen. Bei genauerem Hinsehen aber ist eine einzige Bank besetzt. Vor einer halben Stunde hatte es noch wie aus Kannen gegossen, jetzt nieselt es ungemütlich bei einer leichten Brise. Unter dem Schutz einer Linde, haben es sich Jenny Hartmann und ihr Bekannter Thusiante Heinze gemütlich gemacht. Während des Spaziergangs mit Hund Coco schien den Jurastudenten die Bank ideal zum Ausruhen. Sie musste nur kurz trocken gewischt werden. „Wir sitzen hier schon eine Viertelstunde, die Luft ist grandios“, sagt Jenny Hartmann. „Ich habe den Tiergarten selten so ausgestorben erlebt. Hier kamen bisher höchstens fünf Leute vorbei!“ Das Wetter sei durchaus reizvoll, und der Hund müsse ohnehin raus.

Kein Jogger unterwegs? Als hätte er’s gehört, kommt einer aus Richtung Neuem See gelaufen. Es gelingt, ihn kurz anzuhalten. „Ich bin Marathonspezialist, Wind und Wetter spielen keine Rolle“, sagt Stefan Schmidt, und sein gebräuntes Gesicht wirkt gestählt wie das eines Seebären. Die Halbmarathonstrecke, 21 Kilometer, habe er ganz entspannt und gemütlich hinter sich gebracht. „Das Wetter ist doch optimal, die hohe Luftfeuchtigkeit öffnet die Poren“, schwärmt er und wundert sich nur, dass ihm eine große Joggergruppe, wie sonst um diese Zeit üblich, noch nicht entgegengekommen ist.

Im Kreuzberger Prinzenbad herrscht auf den Liegewiesen wirklich einmal gähnende Leere. Der Rasen ist nasskalt, allein Schuhe und Strümpfe auszuziehen, kostet Überwindung. Aber im erwärmten Becken schwimmt ein halbes Dutzend Hartgesottener Bahn auf Bahn, unbeeindruckt vom Wetter ringsum. Viviane Biserius hat überhaupt nicht mitbekommen, dass es nieselt. „Toll ist das hier, im Wasser ist es doch viel wärmer als in der Luft“, sagt die gebürtige Luxemburgerin, die ins Bad gekommen ist, um beim Schwimmen das Beste aus dem Tag zu machen. „In die eiskalte Ostsee aber würde ich nicht springen.“

Der Regen wird stärker. Vor dem Café Atlantic an der Bergmannstraße sind Stühle und Tische aufgebaut, nur ein Gast trotzt dem Wetter. „Mir ist überhaupt nicht kalt“, sagt Astrid Weins beim Milchkaffee. „Ich bleibe hier noch zwanzig Minuten sitzen, bis die Waschmaschine im Waschsalon nebenan fertig ist.“ Sie scheint ein wenig zu bibbern, als sie sagt: „Ich glaube, der Sommer ist vorbei.“ Vorbei ist er nicht, aber durchwachsen dürfte er werden, sagen die Experten. Montag und Dienstag sollen uns jedenfalls wieder an die sonnigen und wärmeren Seiten des Sommers erinnern.

Christian van Lessen

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