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Alle mal mitklatschen. In der Vorschule des Förderprojektes vom Instituto Marquês de Salamanca für Kinder aus der Favela im Bezirk Santa Teresa in Rio de Janeiro, Brasilien, wird der Besuch aus Deutschland herzlich empfangen. FürSpendenprojekt "Tabalugahaus" von Hans Georg Näder (Schal), Peter Maffay (mit Gitarre) und Eva Hassmann (rechts hinten) in Kooperation mit dem Instituto Marquês de Salamanca (Förderer Olavo Egydio Monteiro de Carvalho, weißes Hemd) gab es Applaus. Der Tagesspiegel ist Medienpartner des Hilfsprojektes. Und Joachim Löw machte auch mit.

© Annette Kögel

Tabaluga-Hilfsaktion für Kinder in Rio de Janeiro: Expedition der Extreme

In den Favelas von Rio leiden viele Kinder. Das Tabalugahaus-Projekt hilft. Mit Hans Georg Näder, Peter Maffay und Eva Hassmann auf einer Exkursion der Extreme in Brasilien.

So viele Fans auf einmal haben sich wohl selten auf Peter Maffay und seine Gitarre gestürzt. Jeder will mal auf dem Schoß des Rocksängers sitzen, jeder will mal an den Saiten zupfen. Der 65-jährige Familienvater hat in dem Gedränge kaum noch Platz, wirft lachend den Kopf zurück und strahlt. Jetzt ist sie mittendrin im brasilianischen Alltag, die bunt gemischte Delegation der Helfer aus Deutschland.

Sechzig Prozent der Kinder sind Analphabeten

Mit karnevalistischem Ausnahmezustand aber hat das Zusammentreffen in der Vorschule des „Instituto Marquês de Salamanca“ (IMDS) in Rio de Janeiro nichts zu tun. Es geht hier um Bildungschancen für Kinder aus den Favelas. Denn selbst in den Armutsvierteln im bürgerlichen Bezirk Rios namens Santa Teresa sind rund sechzig Prozent der Kinder Analphabeten, erzählt Paula Baggio, die Exekutiv-Direktorin von IMDS.

Die Stiftung fördert seit Jahren Projekte der Kinder- und Jugendarbeit und unterstützt auch die Mütter in den Slums von Santa Teresa. Die Mädchen und Jungen, die in der Vorschule neugierig um diese Erwachsenen aus Deutschland herumspringen, die ihre Sprache, ihr Portugiesisch, nicht verstehen, haben oft viel erlebt: Mal sind die Eltern drogenabhängig, mal hat der Stiefvater sie missbraucht oder der Vater sitzt im Gefängnis. „Diesen Teufelskreis von Gewalt, Vernachlässigung und Armut wollen wir durchbrechen“, sagt Paula Baggio.

Der Ottobock-Chef wollte helfen

Dabei unterstützt sie jetzt die Initiative vom Inhaber der deutschen Firmengruppe Ottobock, Hans Georg Näder, und dem Schöpfer der Tabalugahäuser für benachteiligte Kinder Peter Maffay. In Rio starteten beide jetzt eine Vorstufe zu einem Tabalugahaus-Projekt für Brasilien. So konnten am IMDS-Sitz in Santa Teresa die veralteten Computer ausgetauscht und die technische Ausstattung für 15 neue Computerplätze für Jugendliche aus den Favelas finanziert werden.

Sie sollen einen verantwortlichen Umgang mit dem Internet erlernen, in Softwareprogrammen geschult und so auch auf einen Einstieg ins Berufsleben vorbereitet werden. Zudem kann das IMDS-Projekt die Auslagen für die Lehrkräfte im Computerraum und für Englischunterricht für die Vorschulkinder über zwei Jahre hinweg bestreiten. Den Kindern werden Computer- und Englischkenntnisse weiterhelfen, das ergab ein erster Sichtungsbesuch der Helfergruppe aus Deutschland in Santa Teresa während der Fußball-WM im Juni 2014.

So viele Menschen sprechen kein Englisch in dem Land, das auch vom Tourismus lebt. „Auch unsere öffentlichen Schulen bräuchten Hilfe, da lernen die Kinder nur das Nötigste“, erzählt der 85-jährige Raoul aus der Favela Fallet.

50 000 Morde im Jahr in ganz Brasilien

Brasilien, das fünftgrößte Land der Erde, wird sich der Welt 2016 als Austragungsstätte der Olympischen und Paralympischen Spiele präsentieren. Der Initiator der Hilfsinitiative für die Favelakinder von Santa Teresa, Hans Georg Näder, ist selbst Vater, und er ist geschäftsführender Gesellschafter des Weltmarktführers in der Medizintechnik Ottobock. Die Firmengruppe ist in Berlin etwa mit dem Science Center am Potsdamer Platz und dem Investitionsprojekt Bötzow Berlin in Prenzlauer Berg vertreten. Die deutsche Firmenzentrale mit Produktionsstätte liegt in Duderstadt im Harz. Zum Vergleich: Das Städtchen Duderstadt hat rund 22 000 Einwohner – in Brasilien kommen jedes Jahr mehr als doppelt so viele Menschen bei Morden vor allem infolge der Drogenkriminalität ums Leben.

Solche Zahlen gehen den Teilnehmern der Brasilienreise immer mal wieder durch den Kopf. Wie berichtet hatten Unternehmer Näder, Fußballnationaltrainer Joachim Löw, die Schauspielerin, Fotografin und Filmemacherin Eva Hassmann sowie Peter Maffay als Tabalugahaus-Schöpfer gemeinsam eine Kunstauktion zugunsten von Straßenkindern gestartet. Der Tagesspiegel war wegen seiner gesellschaftlichen Hilfsprojekte gebeten worden, als Medienpartner zu fungieren. Und nun, zum Auftakt der Hilfe, „der ersten Brennstufe des Projektes“, hatte Näder eine Gruppe Unterstützer zur Eröffnung des Tabalugahauses nach Rio geladen.

Neue Computer und endlich Englisch lernen

Jetzt sitzen alle in dem Vorführraum am Sitz der IMDS-Stiftung an der Rua Almirante Alexandrino. An den Fenstern hängen Bleche – hier wurde schon mal hineingeschossen. Auf dem Bildschirm läuft ein Film, der die erfolgreiche Sozialarbeit der IMDS-Projekte dokumentiert. Die junge Frau, die im Nebenraum gerade Computerkurse für Jugendliche gibt, wurde selbst früher von der Vorschule gefördert.

„Mit der IMDS-Foundation und ihrer angeschlossenen Schule in Santa Teresa haben wir einen bewährten und verlässlichen Partner vor Ort gefunden. Ich bin sehr glücklich, zusammen mit meinem Freund Peter Maffay und vielen Unterstützern ganz pragmatisch das Tabalugahaus-Projekt in Rio an den Start zu bringen“, sagt Hans Georg Näder.

Der Begründer der Hilfsinitiative „Schutzräume für Kinder gGmbH“ mag Süd- und Lateinamerika sehr, abseits der Kriminalitätsstorys und über die Copacabana- und Caipirinha-Klischees hinweg. Wegen der Menschen, wegen ihrer Mentalität, wegen der Lebensfreude. Schon als Jugendlicher war er mit seinem Vater in Brasilien, erzählt der Initiator, die Erlebnisse haben ihn geprägt.

Der Manager, der jetzt mit den Kindern mitklatscht, hat bereits in seinem Heimatort Duderstadt ein Tabalugahaus für benachteiligte und behinderte Kinder eröffnet. Und der Mann an der Gitarre unterhält über seine „Peter Maffay Stiftung – Schutzräume für benachteiligte Kinder und Jugendliche“ Tabalugahäuser auch in Rumänien und auf Mallorca. Beide sichten im Anschluss an den Brasilienaufenthalt Möglichkeiten für eine Einrichtung für Kinder in Havanna auf Kuba.

Dort soll nach den bisherigen Planungen 2017 ein Schutzraum entstehen, in dem nach Tabalugahaus-Vorbild von Gewalt oder sexuellem Missbrauch traumatisierte sowie Kinder mit Behinderungen therapeutisch betreut werden. In Rio soll zu den Paralympics 2016 das Tabalugaprojekt in Rio größer gestaltet werden. Eva Hassmann ist froh, auch durch ihre Fotokunstwerke einiges bewegt zu haben.

Frauen nähen Ipad-Hüllen mit der Jesus-Skultur drauf

In seinen Einrichtungen stemme seine Stiftung die Logistik und Personal bislang selbst, sagt Peter Maffay. „In einem Land wie Brasilien ist es aber sehr wichtig, einen lokal erfahrenen Partner zu haben.“ Und so ist die Delegation aus Deutschland während der Rio-Reise auch zu Gast auf dem Anwesen von Olavo Egydio Monteiro de Carvalho, dem Förderer des Instituto Marquês de Salamanca.

Anders als viele seiner Verwandten ist der 73-jährige Marquis von Salamanca und Fürst von Llanos in Spanien nicht wegen der Kriminalität aus Santa Teresa weggezogen. Er hat mal an der Technischen Hochschule in München Maschinenbau studiert, die Expo in Sevilla mitorganisiert, war Mitglied der Handelskammer in Rio, hat VW den Weg mit nach Brasilien geebnet, fördert alternative Energiegewinnung.

Jetzt sind alle froh, dass sich die Wege in Rio gekreuzt haben, Olavo sei ein in seiner Region für die Menschen engagierter Unternehmer wie er selbst, lobt Näder. Ihm gefällt auch, dass IMDS in zwei Arbeitsräumen Müttern aus der Favela Arbeitsmöglichkeiten eröffnet. Sie nähen etwa Taschen mit der riesigen Jesusstatue auf dem Corcovado-Berg oder iPad-Hüllen mit Papageienmotiven drauf. Die werden zu moderaten Preisen verkauft, der Erlös bringt den Frauen auch Geld.

Der Durchschnittsverdienst: 245 Euro

Der Durchschnittsverdienst in Rio de Janeiro beträgt rund 800 Reais, das sind knapp 245 Euro, weiß IMDS-Projektdirektorin Paula Baggio. 100 Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren gehen jeweils vier Jahre auf die IMDS-Vorschule – „und wir haben eine sehr lange Warteliste“. Es sind Eltern aus allein 19 Favelas in Santa Teresa, die ihre Kinder fördern lassen. Wer mehr im Monat zur Verfügung hat als 1000 Reais – oft dank staatlicher Förderung –, der wird nicht akzeptiert. „Wir wollen ja den Armen helfen“, sagt Baggio.

Das tun sie auch mit Sportprojekten. Die 43-jährige Sozialarbeiterin Elaine Santate da Ressurreicao und ihre 31-jährige Kollegin Danielle Silva kommen der Bitte der Besucher gern nach, mal selbst in die Favela Fallet gehen zu dürfen. Einige Anweisungen gibt es dabei: Man solle bitte nicht mit Fingern zeigen, nicht einfach so Fotos machen. Am Vortag hat es eine Schießerei gegeben.

Hinter der Gruppe liegen die Herrschaftshäuser, schon führt der steile Weg hinab. Die Kanalisation verläuft überirdisch. Der Polizist an der Station guckt dem Frauentrupp schelmisch hinterher. Im aufgeräumten Haus von Elaine drängen sich kastenartig enge Zimmerchen aneinander. Der siebenjährige Sohn Iago geht auf die Tabalugahaus-Vorschule und zeigt stolz selbst gemalte Bilder. Die Miete in einem Favelahäuschen kostet hier 700 bis 900 Reais. An der Schreibschrift von Iago können sich Kinder im 10 000 Kilometer entfernten Berlin ein Beispiel nehmen.

GELD WIRD GEBRAUCHT
Eine Lehrkraft verdient in Rio de Janeiro vergleichsweise nicht viel, teils um die 300 Euro im Monat. Wenig bewirkt also viel. Wer die Arbeit der Tabalugahaus-Projekte in Rio unterstützen möchte, ist herzlich aufgerufen und kann spenden an: Sparkasse Duderstadt, IBAN: DE07 2605 1260 0000 5155 10, BIC: NOLADE21DUD, Konto: 515 510, BLZ: 260 512 60,

Kontoinhaber: Schutzräume für Kinder Duderstadt gGmbH. Verwendungszweck: Tabalugahaus Rio de Janeiro.

MEHR INFOS IM NETZ
www.tabalugahaus.de

www.petermaffaystiftung.de

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