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Hertha

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Tabellenkeller: Herthas Zeit des Leidens

Die Hauptstadt ohne Erstligaklub – kann das gutgehen? Viele halten an der klitzekleinen Hoffnung fest.

Hanne hat es geahnt. Der frühere Hertha-Spieler und heutige Wirt des Fußballer-Lokals „Hanne am Zoo“, Hans Weiner, beugt sich über seinen Tresen und sagt: „Nein, frustriert bin ich nicht. Nur einfach traurig.“ Weiner stand für Hertha in den 70er und 80er Jahren in der Abwehr, und sein Fußballer-Verstand hat ihm schon vor längerem signalisiert: Es naht der Abstieg. Nach dem verlorenen Spiel gegen Nürnberg musste der 60-Jährige am Samstagabend und am Sonntag bitter enttäuschte Hertha-Anhänger trösten. Sie tranken bei ihm ihren Kummer weg.

So richtig glauben wollen die meisten Gäste in der Kneipe mit den vielen Fähnchen, Mannschaftsfotos und TV-Schirmen noch nicht an die drohende Zweitliga-Realität. Man hält sich noch an einem klitzekleinen bisschen Hoffnung fest. In der ersten Halbzeit habe Hertha gegen Nürnberg ja durchaus stark gespielt, sagen zwei ältere Fans, die selbst vor der Molle ihre blau-weißen Mützen tief ins Gesicht ziehen und die Schals anbehalten, als säßen sie noch im Stadion. „Der Gegner wurde super unter Druck gesetzt, Torchancen erkämpft – aber dann, es war ein Fiasko.“

Und immer mehr fragen sich, was danach kommt. Wie es wird, wenn kein Wunder mehr geschieht. „Der Erstligafußball ist so wichtig für die Stadt“, sagt Senatssprecher Günter Kolodziej, und deshalb sollten „wir das Team mit aller Kraft unterstützen, schließlich kann Hertha es ja noch schaffen“. Karin Seidel-Kalmutzki, die Vorsitzende des Sport-Ausschusses von der SPD, ist weniger optimistisch. Sie saß am Sonnabend im Olympiastadion, beim 1:2 hat sie sich zu ihrem Lebensgefährten umgedreht und nur zwei Worte gesagt: „Das war’s.“ Realistischerweise müsse man nun vom Abstieg ausgehen. Klar hat Berlin noch andere Erstligaklubs, die Eisbären, Alba, die Füchse im Handball, aber „Fußball ist eben die Sportart Nummer eins. Nichts anderes bewegt dermaßen, über nichts spricht man montags so gerne mit seinen Kollegen.“ Herthas Gang in die zweite Liga werde die Stadt sicher verändern. Peter von Löbbecke, Manager des Olympiastadions, nennt den immer wahrscheinlicheren Abstieg „echt bitter für die Sportmetropole Berlin. Das kann ich mir noch gar nicht richtig vorstellen.“

Christian Tänzler von der Berlin Tourismus Marketing fürchtet nicht, dass das Image der Sportstadt Berlin ernsthaft in Gefahr ist. „Der Sport hat unbestreitbar eine große Bedeutung für die Stadt – aber das macht sich nicht unbedingt an Hertha fest.“ Berlin habe schließlich das DFB-Pokalfinale, auch die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 habe Berlins Image als Sportstadt geprägt. Und dann die ganzen anderen Großereignisse: Marathon, Halbmarathon, Sechstagerennen, auch die Leichtathletik-WM, Beachvolleyball-WM und das Turnfest seien zu nennen.

Die Hertha-Fans wissen, dass die Stadt wohl nicht in eine monatelange, kollektive Trauer verfallen wird. Schließlich sei „der Verein für Berlin leider lange nicht so identitätsstiftend, wie man es aus anderen Großstädten kennt“, sagt Manfred Sangel, Macher des Fanradios „Hertha-Echo“. Berlin sei „nun mal eine Stadt der Zugezogenen, deshalb hat hier praktisch jeder deutsche Fußballverein seinen eigenen Fanklub.“

In Internet-Foren regen sich viele Hertha-Fans darüber auf, dass ihrem Verein die Unterstützung fehle. „Hertha hat keine Lobby“, schreibt einer, „Als Hauptstadtverein sollte doch einiges möglich sein: Topspieler, Topsponsoren.“ Andere schimpfen über die künftigen Anstoßzeiten: sonnabends um 13 Uhr sei einfach zu früh. Und dann erst die Gegner!

An Herthas Zweitligazeiten in den Achtzigern und Neunzigern hat Manfred Sangel vom „Hertha-Echo“ keine guten Erinnerungen. „Gefühlte 13 Mal“ sei er zu Auswärtsspielen nach Meppen gereist. „Da gab es für die Zuschauer Holztribünen und aufgehäufte Sandhügel. Und alle Meppener sind mit Fahrrädern zum Stadion gefahren.“ So schlimm werde es ab Herbst aber garantiert nicht, die zweite Liga habe heute ein ganz anderes Niveau, mit professionelleren Teams und besseren Stadien, auch die Medienberichterstattung sei viel größer. Trotzdem dürfe das kein Dauerzustand sein, sagt die Sportausschuss-Vorsitzende Karin Seidel-Kalmutzki. Deshalb will sie Hertha ab Herbst auch dann im Stadion anfeuern, wenn nicht mehr Bayern München, sondern Paderborn und Oberhausen zu Gast sind. „Man darf nicht zu viel über den Imageschaden nachdenken. Man sollte zusehen, dass es schnell wieder nach oben geht.“

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