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Der Historiker Andreas Petersen spricht über den Tagesspiegel-Gründer Erik Reger.

© Mike Wolff

Tagebuch des Tagesspiegel-Gründers: Ende des Zweiten Weltkriegs - Zeit des Überlebens

Erik Reger, Mitgründer des Tagesspiegels hat in seinem Tagebuch festgehalten, wie er das Ende des Zweiten Weltkriegs im Süden von Berlin erlebte. Bei der Premiere am Montag entstand eine intensive Diskussion.

Dass es bei der Veranstaltung des Tagesspiegels „Zeitung im Salon“ zur Pausenzeit stets Snacks gibt, die inhaltlich zum Diskussionsthema passen, ist Tradition. So gab es am Montagabend: Ersatzwurst. Die Küche reichte Nachkriegshäppchen, „absolut vegan“. Leberwurst aus Haferflocken, Zwiebeln, Majoran und Hefe. Durch die Stuhlreihen ging ein amüsiertes Raunen. Im Verlagshaus am Askanischen Platz 3 in Kreuzberg wurde am Montagabend die Premiere des Buches „Erik Reger: Zeit des Überlebens“ gefeiert, passend am 8. September, dem Geburtstag des Romanautors und Journalisten. „Er war die prägende Persönlichkeit des Tagesspiegels“, sagte Gerd Nowakowski, Leitender Redakteur und Moderator des Abends.

Reger, der mit richtigem Namen Hermann Dannenberger hieß, war unter Pseudonym Mitgründer der Zeitung im September 1945. Er wurde nicht nur Mitherausgeber, sondern auch Chefredakteur, schrieb ab der ersten Ausgabe gegen die Verklärung der NS-Zeit an. „Seine Artikel hatten im Nachkriegsberlin Orientierungswert“, sagte der Historiker Andreas Petersen, der Regers Tagebuch nun im Transit-Verlag herausgibt. Bei einer Recherche zur Geschichte der Zeitung war Petersen im Nachlass von Reger zufällig auf dessen Tagebuch gestoßen. Darin hatte der Schriftsteller in eng gedrängten Tintenzeilen festgehalten, wie er im Süden Berlins den Einmarsch der Roten Armee und das Ende des zweiten Weltkriegs erlebte. Regers Aufzeichnungen führen vom „21. April, Samstag“ bis zum „10. Juni, Sonntag“. Er war 51, als der Krieg endete.

"Er war schneidend scharf"

Im Publikum saßen zur Buchpremiere viele Menschen, denen Nachkriegsrezepte nicht unbekannt sind, sie waren Kinder oder Jugendliche, als sie in und um Berlin das Kriegsende erlebten. In den ersten zwei Reihen auch deutlich jüngere Gäste: ein Teil der Familie Dannenberger, die Söhne und einige Enkel von Regers Schwiegertochter Vera Dannenberger.

Der Schauspieler Paul Sonderegger liest Passagen aus dem Tagebuch.
Der Schauspieler Paul Sonderegger liest Passagen aus dem Tagebuch.

© Mike Wolff

Schon vor dem Naziregime war Regers Name durchaus bekannt. Durch seinen Industrieroman „Union der festen Hand“, für den er 1931 mit Ödön von Horvath den Kleist-Preis erhielt. Reger habe zwei Karrieren gelebt, sagt Petersen. „Er war schneidend scharf in seinem Antikommunismus und mindestens genauso scharf in seinem Antifaschismus.“

In drei Blöcken trug der Schauspieler Paul Sonderegger Passagen aus dem Tagebuch vor. Da verhöhnt Reger vor allem die Gesellschaft in Mahlow, die so lange Zeit das Nazi-Regime trug.

Diskussion: Hat Reger die Rote Armee verharmlost?

Gerd Nowakowski und Andreas Petersen beschrieben Regers Niederschrift als „unemotional“. Die Geschehnisse in Mahlow beschreibe Reger kühl und distanziert. Für die Leiden und Klagen der deutschen Bevölkerung zeige er kein Mitleid. Im Gegenteil schreibt Reger, die Nachkriegsnöte seien selbst verschuldet, die Konsequenz aus zwölf Jahren NS-Diktatur. Selbst die Vergewaltigungen durch sowjetische Soldaten wertet Reger in diesem Kontext. Das bot am Montagabend Anlass zur Diskussion: Reger habe ein beschönigendes, ja verharmlosendes Bild der Roten Armee gezeichnet, die Vergewaltigungen banalisiert, sagte der Publizist und Historiker Arnulf Baring im Publikum. Einige schütteln mit dem Kopf, eine Frau verließ den Saal. Und ein Mann, der sich als Ostdeutscher bekannte, hielt den Übergriffen das Wüten der Deutschen in Polen entgegen. Anlass für viele andere, den Kopf zu schütteln.

Eine ältere Dame ist zur Lesung gekommen, Jahrgang 1933, sie hat in Mahlow gelebt. Ihre Familie sei von den sowjetischen Soldaten verschont worden, sagt Barbara Krüger. Und als man später wieder ins Reihenhaus konnte, sei dort alles beim Alten gewesen, nur das Eingemachte im Keller geplündert und der Nussbaumtisch befleckt. „Da gab es wohl ganz unterschiedliche Erfahrungen“, sagte Krüger. Ob sie jetzt die Ersatzwurstbrote genießen könne? „Ja, die schmecken vorzüglich.“

Milena Menzemer

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