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Berlin: Tamas Ascher: Staub zu Staub

In den alten Zeiten, als sich Geister und Lemuren gute Nacht sagten am Schiffbauerdamm, kam man hierher, um Staub zu schlucken und Museumsstücke zu betrachten. Das hatte seinen morbiden Reiz.

In den alten Zeiten, als sich Geister und Lemuren gute Nacht sagten am Schiffbauerdamm, kam man hierher, um Staub zu schlucken und Museumsstücke zu betrachten. Das hatte seinen morbiden Reiz. Manchmal leuchtete ein grelles Licht in dem Totenhaus: Brechts Gebeine glühten, illuminiert von Heiner Müllers Genie, von der Kraft eines Einar Schleef und den Visionen eines Bob Wilson. Immerhin. Man muss sich die Agonie der neunziger Jahre nun nicht zurückwünschen. Aber hat man Worte dafür, wie es heute ist? Aus Wien kam, heiß ersehnt und laut gerufen, der Ghostbuster Claus Peymann. Der Direktor räumte auf, er renovierte, das BE war mit einem Male wieder rappelvoll - in Wahrheit waren neue Geister eingezogen. Und nach dem Wirbel der Wiedereröffnung hat sich auch der Staub wieder gesetzt.

Altmodisch und verzopft: Anders lässt sich der "Tartuffe", den Tamas Ascher zum Spielzeitbeginn vorführt, beim besten Willen nicht beschreiben. Molières unsterbliche Komödie stirbt in der Regie des Ungarn tausend kleine Tode eines klapprigen Boulevardtheaters. Ascher ist nicht irgendwer, er hat einen Namen in der internationalen Theaterwelt. 1991 gastierte Ascher in der Ungarn-Reihe der Berliner Festwochen. Damals spürte man den Kampf von Alt und Neu. Heute ergeht es Tamas Ascher wie so vielen Theaterleuten des ehemaligen Ostblocks: Sie scheinen den Anschluss verloren zu haben, fallen zurück in eine traditionelle Ästhetik. Von den Zerreißungen des Individuums im Sozialismus bleibt nur leere Hektik.

Wie lebt Familie Orgon, deren Oberhaupt den Betrüger Tartuffe so fest ans Herz drückt, dass der völlige Ruin ins Haus steht? Wo gibt es solche braven Leute noch? Man schaut in einen großbürgerlichen, etwas heruntergekommenen Altbausalon (Bühnenbild: Zsolt Khell), die Orgons sind gekleidet im Stil der fünfziger oder frühen sechziger Jahre (Kostüme: György Szakas). Allein Tartuffe, der keine Socken trägt, kommt mit seinem modisch hochgeschlossenen schwarzen Designeranzug und der verspiegelten Sonnenbrille daher wie ein Strizzi vom neuen Aktienmarkt. Ist es das? Will Tamas Ascher den Einbruch eines kriminellen Kapitalismus in die sympathisch verschwiemelte Welt von gestern demonstrieren? Verklärt sich ihm die Vergangenheit?

Gleichwie: Es funktioniert nicht. Dieser "Tartuffe" besitzt die Sprengkraft und den Unterhaltungswert einer ausgeleierten französischen Ehebruchskomödie. Joachim Bißmeiers Orgon ist so blass und hilflos, die wilde Leidenschaft für den Schwätzer in Schwarz nimmt man ihm keine Sekunde ab. Ursula Höpfner als Madame Orgon gibt ein anämisches Püppchen, und Orgons senile Mama, Madame Pernelle, ist bei Eleonore Zetzsche die obligate Schreckschraube. Das allerliebste Töchterchen Mariane (Lotte Ohm) und ihr stocksteifer Bräutigam Valère (Matthias Walter), mit Rockertolle und roten Röhrenhosen, machen unerträglich naiv auf Jugend. Und der Schwindler? Rufus Beck ist kaum zu überbieten in seiner Harmlosigkeit: Er trägt die böse Absicht wie eine Hostie vor sich her. Traute Hoess, die Haushälterin, hat die große Schnauze und das gefährliche Dekolleté auf dem rechten Fleck. Da ist man dankbar. Für einen Hauch von Molière.

Türen fliegen, es geht juchzend über Tisch und Stühle. Es wird gebrüllt und gerauft und am Ende sinnlos herumgeballert. Polizei! Vorsicht Staatsmacht! Ascher zieht - in der locker gereimten Übertragung von Wolfgang Wiens - ein derart falsches, aufgesetztes Ach-wie-ist-das-lustig-Tempo durch, dass sich die zweieinhalb Stunden - länger geht es nicht - zu einer kleinen Endlosigkeit ziehen. Denn sie wissen nicht, was sie tun. Mag das BE einmal eine finstere Katakombe gewesen sein - derzeit ist das Niveau einfach unterirdisch.

Rüdiger Schaper

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