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Berlin: Tanz den Marcelinho

Närrisches Treiben (1): Den Hertha-Fußballer zieht’s wie viele andere Berliner Brasilianer zum „ Baile de Carnaval“

Tausende brasilianische Samba-Amazonen lassen heute beim Karneval in Rio, in Recife und in Salvador ihre Lenden kreisen – und in Berlin. Sie tragen die klassischen „Samba de Bikinis“, jene minimalistischen Zweiteiler aus Federn und Pailletten. Für ein paar hundert Euro sind die Bikinis auch in der Berlin erhältlich: Im gediegenen Friedenau decken sich Berlins Brasilieiras mit solchen sexy Outfits ein, in Eliete de Jesus’ Brasil-Boutique „Liu Fashion“. Über 4000 Brasilianer leben in Berlin, doch „realistisch sind wir vermutlich mehr als 12 000“, fügt der Pressesprecher der brasilianischen Botschaft mit einem Lachen hinzu. Während er zum Botschafter verbindet, um zu erfragen, wo José Artur Denot Medeiros persönlich Karneval feiert, ertönt in der Warteschleife ein Lied von Gilberto Gil, der vorigen Sommer auf der Museumsinsel Bob Marley sang und den Brasiliens neuer Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva vor zwei Monaten zum Minister für Kultur berufen hat. Der Botschafter sei dienstlich beschäftigt, heißt es schließlich. Er tanze keinen Samba.

Umso passionierter feiert Berlins heimlicher brasilianischer Botschafter: Herthas Starkicker Marcelinho. Der 26-jährige Acht-Millionen-Euro-Junge will heute beim Lions Club kräftig auf den Putz hauen. Im Charlottenburger Rokoko-Ballsaal „Queens 45“, dem einst legendären Swinglokal „Casino“, veranstaltet der deutschstämmige Brasilianer Paulo Henrique Boelter, ein internationaler Consulting-Anwalt und Vorsitzender des Lions Club Berlin-Dorotheenstadt zusammen mit der Botschaftsangestellten Anna Berlin den „1. Baile de Carnaval“.

Marcelinho hat dafür eigens seine Lieblingsband einfliegen lassen. Die sieben Jungs nennen sich „Manha de Samba 100% Marcelinho“ und sind allesamt Sandkastenfreunde des Fußballers. Ihre alten Samba-Klassiker, gespielt auf der Cavaquinho, der Samba-Gitarre gehen ans Herz – und in die Beine. Sie stammen wie Marcelinho aus der Stadt Campina Grande und sind im ganzen Bundesland Paraiba bekannt.

Anwalt Boelter hat auch die „Associacao Brasileira em Berlin“ gegründet, ein Verein, der Brasilianer in einfacher Sprache bei Visa- fragen und bei anderen Schwierigkeiten hilft oder Problemfälle betreut, wie die fünf jungen Mädchen, die in Tegel mit Kokain im Koffer ankamen und nun im Frauengefängnis sitzen.

Szenenwechsel: Das Epizentrum der nachtaktiven Brasilianer ist das Disko-Restaurant „Taba“ in der Tor- Ecke Tucholskystraße in Mitte. Vania, die Geschäftsführerin, die auch das legendäre „Ax Bax“ in der Leibnizstraße in die Brasilkneipe „Santo Santos“ verwandelt hat, lädt drei Nächte lang bis Montagmorgen zum Carnaval do Brasil. „Typischer Sextourist“, denkt man bei dem ersten Blick auf den älteren Herrn, der mit der freizügig gewandeten Vania tanzt. Im kolonialen Khaki-Outfit posiert der 60-Jährige mit lauter leicht bekleideten, blutjungen Brasilianerinnen. Spricht man mit dem Mann, wird man eines Besseren belehrt. Professor Dr. Arne Burkhardt ist Chefarzt der Pathologie im Kreiskrankenhaus von Reutlingen bei Stuttgart. Seit dem Fall der Mauer gibt es große Ärzte-Kongresse in Berlin und so kam der Professor aus dem Schwäbischen in den vergangenen Jahren des öfteren in die Hauptstadt. Eines Abends, nach einem anstrengenden Kongresstag, lernte er beim Dinner in Babelsberg den türkischen Wirt Ismael in dessen mexikanischen Restaurant kennen. Dort dinierten gerade ein paar Brasilianer, die den Professor in ihren Treffpunkt entführten, ins Taba in der Torstraße. Der Pathologe kannte zwar das Nachtleben von Stuttgart, doch so eine Stimmung hatte er noch nicht erlebt. „Ich tanzte wie noch nie zuvor in meinem Leben.“

Die jungen Brasilianerinnen bezirzten den bald 60-jährigen Chefarzt, und als der hörte, dass der Taba-Wirt einen Käufer für den Laden suchte, schlug Burkhardt zu. Für eine Viertelmillion kaufte er Berlins Brasilianer-Treff Nummer eins, um einmal im Monat einzufliegen und Spaß zu haben in seiner eigenen Brasil-Disko. Immer sonntags reist er an, weil der Sonntag der Party-Tag im Taba ist. Das ganze Jahr über ist im Taba sonntags mit Live-Musik des Samba-Sängers Jabuti Karneval der Kulturen. Im Berliner Nachtleben findet der Arzt Erholung von seinem Pathologen-Job. Seine Ehefrau ist zwar nicht begeistert von der neuen Lebenslust ihres Mannes, aber dafür kommt der Sohn des Professors ab und zu auf einen Drink zu seinem Vater. Der 31-Jährige arbeitet auch als Pathologie, einen Katzensprung und zugleich Welten entfernt von Papas Disko – an der Charité.

Guido Schirmeyer

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