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Berlin: Tanz den Tagesspiegel

News als Bühnenstück: Die Eastcompany hat’s gezeigt.

Mal kurz überlegen: Was kann man alles mit einer Zeitung machen? Fische einwickeln, Papierhüte falten, Hamsterkäfige auslegen, Pappmaché anrühren, ach ja, und lesen natürlich. Meistens zu Hause, sehr viel seltener öffentlich und vor zahlendem Publikum. Wie geschehen kürzlich auf der Studiobühne der alten Feuerwache gleich um die Ecke vom U-Bahnhof Weberwiese. Da hat die Tänzerin und Choreografin Alexandra Lazare aus Friedrichshain mit ihrem Tanzensemble „Eastcompany“ ihre selbst entwickelte Performance „Tages-Spiegel“ aufgeführt und vorher vorausschauend die Zeitung gleichen Namens informiert. 

Zwei Dutzend Zuschauer haben sich im zweiten Stock bei Bulette, Brezel und Kultur eingefunden. Im Theatersaal wird es ihnen mit der Identifikation nicht gar zu einfach gemacht: Bis auf einen großen Gong ist die schwarz ausgekleidete Bühne leer. Fünf Choreografien verheißt das Programmblatt, „Gwanim“ ist der exotisch klingende Name der ersten, „S-Bahn“, „Models“ oder „Fukushima“ heißen geradezu eingängig die folgenden. Das Publikum schaut gespannt. Ein an jedem Besucher aufrichtig interessierter Hund streift Sympathiepunkte sammelnd unter den Tischen umher. Schlag sieben geht es los mit dem „Tages-Spiegel“. Eine Tänzerin bringt einen Hocker, setzt sich, blättert in der Zeitung und liest sich selbst ein paar Schlagzeilen vor. Nach ein paar Minuten schälen sich klare Sätze aus dem schlecht zu hörenden Gemurmel – ah, die Einführung der darauffolgenden Choreografie.

„Gwanim“ entpuppt sich als tänzerisch abstrahierte Farbenlehre in roten, blauen, grünen, gelben, schwarzen und weißen Kostümen. Die vor Tänzern und Kindern nur so wimmelnde Sequenz „S-Bahn“ als eine ebenfalls durch Zeitungslesen inszenatorisch eingebundene Szene im ÖPNV, wo jeder sich um sich selber drehende Fahrgast in der Zufallsbegegnung zur Geschichte des anderen wird. Sogar der inzwischen an einer Leine hängende, verwirrt vom Bühnenrand blinzelnde Hund.

Tagesaktualität getanzt ist die vom Trappeln der spitzenverstärkten Ballettschuhe rhythmisierte Mischung aus Ballett, Ausdruckstanz und Improvisation aber nicht. Alexandra Lazare und ihre Laientänzer lesen ihre anmutigen Bilder auf der Bühne eher in die Zeitung hinein, statt sie als Inspirationsfutter aus ihr herauszuholen, wobei bei medialen Dauerthemen wie S-Bahn, Modelcasting oder Atomkatastrophe eh schwer auseinanderzupolken ist, was Henne ist und was Ei.

Lazare selbst lässt sich durchaus vom Zeitunglesen zu Tanzstücken anregen, erzählt sie nach der Aufführung beim Feierabendrotwein. So kam ihr auch die Idee zu dieser Produktion, die fragen will, was Menschen berührt, bewegt und verstummen lässt. Die gebürtige Münchnerin ist 52 Jahre alt, hat drei Töchter, war klassische Balletttänzerin an der Bayerischen Staatsoper und lebt seit 2006 in Berlin.

Zusammen mit ihren drei besten zwischen 20 und 30 Jahre alten Schülerinnen Elina Schwab, Andrea Kolodziej und Magdalena Timm hat die freie Tanzlehrerin die Eastcompany gegründet. Eastcompany, weil sie inzwischen zwar in Prenzlauer Berg oder Lichtenberg leben, aber eigentlich aus Kasachstan, Dessau und Bernau kommen. Nur Lazare ist Profi, die anderen sind Amateure, die fast täglich trainieren, aber nebenher arbeiten und studieren. Die Arbeit mit Profitänzern fände sie langweilig, sagt Lazare, die gerade ein Projekt mit gehörlosen Kindern erarbeitet. „Wenn Laientänzer sich auf der Bühne richtig öffnen, sind sie die wahren Grenzüberschreiter.“ Und wie steht’s bei den hier um den Tisch versammelten Grenzgängern mit der Zeitungslektüre? Tja, ähem, die drei jungen Frauen drucksen herum. Doch, sie lese schon mal eine, sagt Philosophie-Studentin Timm. Die beiden anderen winken entschuldigend ab. Macht doch nichts, versteht doch jeder. Wer alle Tage dem Traum vom Tanzen weiht, kommt eben nicht zu anderen Freizeitvergnügen. Hey, das taugt ja gleich zum nächsten vertanzbaren Spiegel der Zeit. Gunda Bartels

Weitere Informationen unter

www.alazare-eastcompany.com

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