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Berlin: Tauschaktion der Bahn: Freifahrtschein für die Rostlaube

Olaf Carstensen reckt die Faust zum Siegesgruß. Die Lostrommel meinte es gut mit ihm.

Olaf Carstensen reckt die Faust zum Siegesgruß. Die Lostrommel meinte es gut mit ihm. Sein 17 Jahre alter Polo ("sieht aber aus wie neu") gehört jetzt der Deutschen Bahn. Dafür gehört Carstensen eine Jahresnetzkarte im Wert von 6500 Mark. Ein Mega-Tauschgeschäft. Vier Mal ist der Mann aus Westerland auf Sylt - einer dieser schwerelosen Gute-Laune-Menschen, arbeitet nur im Sommer, Kioskbranche - vier Mal also ist er dem Mega-Deal hinterhergefahren: Nach Hamburg, Braunschweig, Cottbus und Berlin. Nun lässt er sein Auto stehen und fährt ein Jahr lang nur noch Bahn. Naja, muss er mal sehen, ob das geht, auf Sylt, so ohne Auto. Immerhin drei Bahnhöhe gebe es auf der Insel, bemerkt Carstensen grinsend - Verhältnisse wie auf Lummerland.

Seit vier Wochen ist die Bahn auf Umsteiger-Promotion-Tour durch 27 deutsche Städte. 200 Jahresnetzkarten werden dort gegen Altautos eingetauscht. Die Anforderungen sind eher gering: Das Auto muss TÜV und ASU haben, fahrtüchtig sein und mindestens acht Monate im Besitz des Tauschinteressenten. Wie weit sich der Rost schon ins Blech gefressen hat, wie oft der Kilometerzähler schon auf Null zurückgesprungen ist - spielt alles keine Rolle. Der Haken: Die Zahl der Netzkarten ist begrenzt. Kommen mehr Interessenten - was die Regel ist - wird gelost.

Bei der Dekra in Tempelhof trafen sich am Donnerstagabend rund 60 Tauschwillige, darunter einige erfahrene Anwärter. Ebenfalls zum vierten Mal dabei: Michael Egemann aus Rostock. Seinen auberginefarbenen Opel Vectra fährt er seit zehn Jahren. Die Scheidung durch den TÜV steht unmittelbar bevor. Als die Tauschaktion in seiner Stadt lief, wusste er leider nichts davon. Seitdem hat er Pech. In Erfurt, hat er gehört, soll es nur drei Bewerber gegeben haben, in Rostock fünf. In Hamburg und Cottbus nahm die Schlange der betagten Karossen allerdings kein Ende - wie jetzt in Berlin. Egemann applaudiert matt den Gewinnern. Seine Stimme klingt bedrückt. Er glaubt einfach nicht mehr an sein Glück, und deshalb hat es ihn verlassen. So brutal geht das Schicksal mit denen um, die sich am meisten plagen. Statt Egemanns Vectra hat sich die Bahn einen 86er Polo-Diesel eingehandelt. Nicht gerade ein Sammlerstück. Der Kilometerzähler steht bei 80 000. Ob das 180 000 bedeutet oder 280 000, kann sein bisheriger Eigner, Architekt Hannes Scheer, wirklich nicht sagen. Ist auch egal. Die Bahn will alle angeeigneten Autos verschrotten oder für Crash-Tests abgeben. Wieder ein paar Konkurrenten aus dem Verkehr gezogen. Wer kein Losglück hat, muss sein rollendes Mobilitätsrisiko allerdings wieder mitnehmen. Azubi Philipp Glogowski braucht zwar nur bis nach Falkensee zu kommen, aber sein 89er Wartburg rostet nicht nur äußerlich. "Das Getriebe ist fast hin. Nächstes Jahr geht der auf den Schrott - so oder so."

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