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TEAR DOWN THIS WALL Vor zwanzig Jahren: Ronald Reagans Besuch in Berlin: Ein Blick, weit über die Mauer

Handverlesene Gäste, abgeriegelte Stadt, Randale – und eine historische Rede, die nahezu unterging

Am 12. Juni 1987 glaubte in West-Berlin kaum noch jemand, dass sich etwas Grundlegendes ändern könnte. Zu eindeutig schien die Lage: Die Stadt war geteilt, und das würde auch so bleiben. Sogar West-Berlin war an diesem Tag geteilt, an dem US-Präsident Ronald Reagan vor dem Brandenburger Tor eine erneute Sicherheitsgarantie der West-Alliierten für die Freiheit Berlins als Geschenk zum 750sten Geburtstag abgeben sollte. Die artigen West-Berliner zogen sich ihre besten Sommersachen an, packten Personalausweise und die fein gedruckten Einladungskarten in ihre Taschen und begaben sich zu den Eingängen des weiträumig abgesperrten Tiergartens. Dorthin, wo das in jenen Tagen allgegenwärtige Lalülala der Polizeiwannen nur ganz von ferne hin drang. Ans Ende der westlichen Welt. Die bösen Autonomen randalierten unter anderem am Kranzlereck und am Wittenbergplatz, während Kreuzberg vorsichtshalber ganz abgeriegelt war.

Der Star des Tages hieß Wilhelm Kewenig. Der war damals Innensenator, ein sperriger, sehr deutscher Politiker mit null Talent zum Deeskalieren. Während zahlreiche Demonstranten, aus denen später zum Teil honorige Stützen der Gesellschaft wurden, an diesem Tag vorsorglich in den Knast wanderten oder in Polizeikesseln festhingen, warteten die 25 000 handverlesenen Alliierten-Fans vor dem Brandenburger Tor geduldig auf den Aufmarsch der Hauptdarsteller: US-Präsident Ronald Reagan und Frau Nancy, Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Bundeskanzler Helmut Kohl und Eberhard Diepgen, der damals Regierender Bürgermeister war.

Die ganz Eingeweihten kannten den Höhepunkt von Reagans Rede damals schon, bevor er auch nur das Wort erhob und gaben beim Warten ein bisschen damit an. Er würde dazu aufrufen, gemeinsame olympische Spiele in beiden Hälften der Stadt zu veranstalten. Das würde Heerscharen von Bürokraten in Lohn und Brot halten, die sich mit den vielen komplizierten Statusfragen würden befassen müssen. Die regelten damals nämlich das Miteinander der beiden Halbstädte Berlin.

Man hatte sich eingerichtet mit der Teilung. Das erwähnte in der vergangenen Woche bei einer Veranstaltung mit dem ehemaligen US-Außenminister George Schultz in der American Academy in Wannsee Helmut Kohl immer wieder. Auch in seiner eigenen Partei. Er bringt freilich nicht die Sprüche, die manche Westdeutsche damals obercool fanden, wonach es am sinnvollsten gewesen wäre, West-Berlin gegen einen Zipfel Thüringens einzutauschen. Damit endlich Ruhe wäre auf der Landkarte.

Der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) antwortet, zwanzig Jahre danach, ganz ehrlich auf die Frage, was für ihn an jenem 12. Juni 1987 das eigentlich Wichtige war. „Das war natürlich die Geburtstagsfeier im Flughafen Tempelhof“, sagt er. „Da war die Anspannung endlich weg.“ Und deswegen waren der Präsident und Nancy Reagan ja auch eigentlich gekommen. Um 20 Minuten vor der Weiterreise in der Abflughalle mit 3000 geladenen deutschen und amerikanischen Gästen, darunter viele Schulkinder, richtig ausgelassen „Happy Birthday, Berlin“ zu singen. Und von der großen Torte zu naschen. Und an die Helden der Blockade zu erinnern, die Rosinenbomberpiloten, zu deren Ehren 2000 kleine Fallschirme mit Bonbons dran auf die Partygesellschaft herabschwebten. Das war die Hauptsache damals. Deswegen hatte man die Randale in Kauf genommen, die nach den schweren Ausschreitungen beim vorangegangenen Reagan-Besuch 1982 auch schon stattgefunden hatten und also absehbar waren. Die Skulpturen auf dem Kudamm, die neu gestaltete Fasanenstraße, die Theateraufführungen rund um die Siegessäule - in jenem Sommer tobte der 750ste Geburtstagswahn in West-Berlin. Und ja, manche wussten sogar, dass es in einem anderen, einem fremden Land ein Nikolaiviertel gab, das komischerweise auch zu einem Geburtstag mit der gleichen Jahreszahl frisch renoviert worden war.

Dieses fremde, unheimliche Land, Teil dessen, was Ronald Reagan früher gern das „Reich des Bösen“ nannte, lag direkt auf der anderen Seite des Brandenburger Tores, vor dem auf westlicher Seite eine Plexiglaswand aufgestellt worden war, um den US-Präsidenten einerseits vor Kugeln zu schützen, andererseits aber auch möglichen Zaungästen auf der anderen Seite des Eisernen Vorhang Gelegenheit zu geben, seine Worte zu hören und ihn live zu sehen. Etwa 500 Leute hielten sich am Ende der Straße Unter den Linden auf, darunter vermutete man viele Stasi-Mitarbeiter. Die Sowjets empfanden den Besuch Reagans in West-Berlin damals offiziell als Provokation, als Verletzung des Vier-Mächte-Abkommens. Seine Rede sei „im Geist des Kalten Kriegs gehalten“, kritisierte Radio Moskau. Und interpretierte: „Die Demonstranten wollten nicht, dass solche Äußerungen in West-Berlin getan werden.“ Damit überschätzten die Sowjets wohl ebenfalls das Interesse, dass an jenem Tag der Rede selbst entgegen gebracht wurde. Schon im Vorfeld hatte sich die Atmosphäre in West-Berlin Richtung Siedepunkt erhitzt. Es gab auch so was wie die Lust am Kampf.

In der fast feierlichen Ruhe vor dem Brandenburger Tor, wo keinerlei Gedränge herrschte, lediglich eine Big Band „In the Mood“ intonierte, konnte man die Hysterie draußen vergessen. Was wohl auch daran lag, dass überwiegend Sicherheitserwägungen die Zusammensetzung der Gästeliste bestimmt hatten. So waren neben den üblichen Verdächtigen, die für Berlin immer einen guten Eindruck auf die Amerikaner machen wollten, auch Polizeischüler geladen, um die Reihen aufzufüllen und überdurchschnittlich viele Amerikaner. Aber auch die interessierten sich nicht brennend für die Rede, sondern wollten ihren Präsidenten live erleben. Den größten Beifall bekam er an jenem Tag übrigens für sein Statement zu den Demonstrationen gegen seinen Besuch.

Reagan glaubte sehr daran, dass Dinge sich ändern können. Es reichte ihm nicht aus, die andere Supermacht einfach nur in Schach zu halten. Er ging einen Schritt dahinter zurück und gleichzeitig zwei Schritte vorwärts. Reagan war fest davon überzeugt, dass die Sowjets irgendwann den Blick nach innen richten und erkennen würden, dass es ihnen schlechter ging als den westlichen Kontrahenten. Und sich dann die Frage stellen würden: Warum eigentlich? An jenem Tag vor zwanzig Jahren gab er sich den Anschein, als vermute er die Lösung allein bei seinem sowjetischen Gegenspieler, den er an der berühmten Gänsehautstelle seiner Rede direkt ansprach: „Come here to this gate! Mr. Gorbachev, open this gate! Mr. Gorbachev, tear down this wall!“

Sicher war ihm klar, dass nicht ein Mensch allein die ganze Welt verändern kann. Dass er sich nur hätte umdrehen und auf die andere Seite des Tores blicken müssen, um dort Menschen zu sehen, die auch fest daran glaubten, dass Dinge sich ändern können, ganz besonders dann, wenn sie langsam unerträglich werden, wusste er vielleicht nicht. Dass er selber nicht ernsthaft damit gerechnet hat, dass es letztlich nur noch knapp zweieinhalb Jahre dauern würde, bis die Mauer fallen und der Eiserne Vorhang in Europa verschwinden würde, hat er später mal eingestanden. Aber er war ein hoffnungsvoller Mensch. Sicher hoffnungsvoller, als die meisten seiner 25 000 handverlesenen Zuhörer an jenem heißen, sonnigen Junitag des Jahres 1987. Mit großem visionärem Pathos ging er in die Schlussrunde seiner Rede: „Ja, quer durch Europa wird die Mauer fallen. Denn sie kann dem Glauben nicht standhalten. Sie kann der Wahrheit nicht standhalten. Die Mauer wird der Freiheit nicht standhalten können.“

Als das Ereignis zu Ende war, bekam jeder Gast ein schriftliches Exemplar der Rede als Giveaway mit auf den Weg. Manche fanden das fast etwas übertrieben. Die Kommentare zeigten, dass die Gänsehaut rasch abgeklungen war: „Das gibt doch in fünfzig Jahren nichts.“ Oder: „Schön gesagt, viel Pathos, ist halt ein richtiger Schauspieler. Aber mit der Wirklichkeit hat das doch rein gar nichts zu tun.“ Oder: „Das alles werden wir ganz bestimmt nicht mehr erleben.“

Die Medien badeten sich am Tag danach in der Berichterstattung über die Krawalle, obwohl die schöne Geburtstagsparty auch sehr gelobt wurde. Die Rede spielte ebenfalls eine Rolle, zitiert wurden unter anderem auch die Stellen, in denen es um die strikte Einhaltung des VierMächte-Abkommens gegangen war. Der Besuch hat insgesamt nur knapp fünf Stunden gedauert.

Als Reagan gut drei Jahre nach der erst im Nachhinein richtig berühmt gewordenen und oft zitierten Rede zurückkam, war er schon nicht mehr Präsident, sondern nur noch Mensch. Ganz bewusst ging er, vom Reichstag kommend, an Nancys Seite durchs Brandenburger Tor. Nur wenige nahmen Notiz von seinem Besuch, allerdings gab es herzlichen Applaus und einen riesigen Berliner Plüschbären, als er auf dem Pariser Platz ankam. Anschließend betätigte er sich als Mauerspecht und schlug sich mit einem Werkzeug, das ihm ein Tourist in die Hand gedrückt hatte, persönlich ein paar Splitter ab. Die Mauer nannte er in Anspielung auf seine eigene Rede an diesem Tag bereits „eine verblassende Erinnerung“.

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