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Flughafen Tempelhof

© ddp

Tempelhof-Serie: Rummel auf dem Rollfeld

Abschied vom Mythos: In 26 Tagen schließt Tempelhof. Damit geht auch eine West-Berliner Tradition zu Ende: die Tage der offenen Tür auf dem Flughafen. Für den Nervenkitzel auf dem Rollfeld begeisterten sich Hunderttausende.

Welches Volksfest sonst hatte so etwas zu bieten? Spaziergänge durch herausgeputzte Rosinenbomber, durch das größte Transportflugzeug der Welt, dessen offene Ladeklappen wie ein aufgerissenes Haifischmaul wirkten. Cockpit-Besuche in den verschiedensten Flugzeugen, viel Livemusik, Demonstrationsflüge, nicht nur amerikanische Spezialitäten und drum herum ein weites Feld zum Durchatmen bei kerosinhaltiger Luft: Das waren unvergessene Tage der offenen Tür auf dem Flughafengelände Tempelhof.

Rund 150.000 Besucher feierten auch wehmütig Abschied von einer Tradition, als sich am 6. Juni 1992, zum 50-jährigen Jubiläum der US-Luftwaffe in Europa, noch einmal das Rollfeld für die Berliner und ihre Gäste öffnete. Die Amerikaner zogen bereits schrittweise aus Berlin ab, die Flugschau ging ins Finale. Mit Ausnahme des Golfkriegsjahres 1991 hatte es seit 1965 regelmäßig auf dem Flughafengelände auch bei laufendem Betrieb Tage der offenen Tür gegeben, die doch bessere Flugschauen der Amerikaner waren. In den letzten Jahren konnten nun auch die Ost-Berliner kommen und Flugzeuge sehen, die sie sonst nur vom Himmel oder gar nicht kannten. Dabei probierten viele erstmals original amerikanisches Eis, Spareribs oder auch Maiskolben und fühlten sich wie in Klein-Amerika. Viele Russen kamen, kauften gern US-Fähnchen und kosteten erwartungsvoll amerikanisches Bier.

Aber der große Publikumsrenner war der Tag schon damals nicht mehr. Noch in den achtziger Jahren kamen – an zwei Veranstaltungstagen – 700.000 Besucher, meistens wurde eine halbe Million gezählt. Kurz nach der Wende waren es noch mehr als 300.000. Menschenmassen, die allein ein Sonntag im Jahr 1971 erreichte, als das damals größte Transportflugzeug der Welt, die Galaxy, bedrohlich tief über Friedenau nach Tempelhof einschwebte und sich besichtigen ließ.

Zur Nachkriegstradition West-Berlins gehörte dieser Tag auf dem Flugfeld ebenso wie die regelmäßige Militärparade der Alliierten auf der Straße des 17. Juni. Die ausgestellten Rosinenbomber waren eine berührbare und rührende Erinnerung an die Blockade, ein Besuch in Tempelhof galt für viele „Luftbrückenkinder“ auch als Zeichen der Dankbarkeit. Im Jahr 1969, Schlagersängerin Peggy March war dabei, regnete es an Fallschirmen Süßigkeiten vom Himmel, „wie vor 20 Jahren“. Das rührte das Gemüt.

Natürlich führte die Berliner auch die Lust am Rummel aufs Feld. Für den Nervenkitzel, riesigen Flugzeugen ganz nahe zu sein, ließen sich die Gäste gern vor dem Besuch in einem von fünf Kontrollzelten nach Waffen, Sprengstoff und anderen gefährlichen Gegenständen filzen.

Dann standen sie bis zu 30 Minuten in Warteschlangen vor der C5 Galaxy, deren Bauch besichtigt werden wollte. Sie erfuhren, dass die Tankladung für eine Weite bis zu 10.000 Kilometer reicht. Sie bewunderten beispielsweise den großen Hubschrauber Chinook, den Starlifter C 14, die Hercules C 130, das Tankflugzeug Extender KC 10, und wie sie alle hießen. Wer hier zu Gast war, konnte sich zum Flugzeugexperten mausern.

Die Briten beteiligten sich, stellten auch Zivilflugzeuge aus, flankiert von Dudelsackpfeifern. Und dann wurden auch noch Fallschirmabsprünge, Flugvorführungen – auch mit Doppeldeckern – geboten. Wem das nicht reichte, der durfte noch in Panzer und andere Militärfahrzeuge klettern. Zwischendrin wurden Go-Kart-Rennen veranstaltet, ferner Heißluftballonfahrten. Zur Stärkung gab es nicht nur Amerikanisches, auch China-Pfannen, Erbsensuppe, Kebap.

Im Jahr 1987 kamen sogar eine Million Besucher, ,,aber da ging es nicht um Flugzeuge, sondern um ein großes Feuerwerk zum Stadtjubiläum. Ein Jahr später waren über 385.000 Menschen beisammen, von denen sieben Plakate entrollten und gegen die Rüstungspoltik protestierten. Der US-Stadtkommandant verkündete rund ums Flughafengebäude eine Bannmeile. Nach der Katastrophe von Ramstein, als bei der Flugschau Maschinen einer Kunststaffel kollidierten und 70 Menschen zu Tode kamen, gab es politischen Streit, ob es 1989 noch Flugvorführungen in Berlin geben sollte. Sie seien angesichts der Katastrophe „geradezu zynisch“, kritisierte die Alternative Liste (AL). Die Feststimmung war getrübt. Vorbeiflüge gab es trotzdem.

Countdown für Tempelhof – unsere tägliche Serie bis zum 30. Oktober. Morgen lesen Sie: Andrang zum Abschiedsflug.

Christian van Lessen

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