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Tempelhof

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Tempelhof-Volksentscheid: Bis zur letzten Instanz

Mehr als 200.000 Berliner haben für den Erhalt des Flughafens Tempelhof gestimmt. Der Senat ignoriert den Volksentscheid - und riskiert eine Verfassungsklage.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Sollte der Volksentscheid zur Offenhaltung Tempelhofs erfolgreich sein, muss der Senat mit einer Klage vor dem Landesverfassungsgericht rechnen, wenn er dem Votum der Bürger nicht folgt. „Wir machen das alles ja nicht zum Spaß“, sagt der Sprecher der „Initiative City-Airport Tempelhof“ (Icat), Malte Pereira. Er bestätigt, dass die Träger des Volksentscheids auch die letzte juristische Möglichkeit ins Auge fassen, um die Schließung Tempelhofs am 31. Oktober 2008 zu verhindern.

Bis zum Bundesverwaltungsgericht ist der Streit um Tempelhof zugunsten des Senats ausgeklagt. Eine Verfassungsklage wäre noch möglich. Hoffnung schöpft die Icat aus einem Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs vom Mai 2007 zur Waldschlößchenbrücke in Dresden. Ein Bürgerentscheid hatte die Stadt Dresden verpflichtet, den Brückenbau unverzüglich ins Werk zu setzen. Im Streit zwischen der Landeshauptstadt und der Bürgerinitiative schlugen sich die Richter entschieden auf die Seite des Volkes. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, „dass der Bürgerentscheid einer unverzüglichen Verwirklichung bedürfe“. Anderslautende Beschlüsse des Dresdener Stadtrats hätten nicht einmal aufschiebende Wirkung.

Der Haken an der Geschichte ist nur, dass ein kommunaler Bürgerentscheid – laut Sächsischer Gemeindeordnung – viel besser geschützt ist als ein Volksentscheid in den Bundesländern. Der Bürgerentscheid kann – drei Jahre lang – nur durch einen anderen Bürgerentscheid, aber nicht durch einen Gemeinderatsbeschluss ausgehebelt werden. Die Wirkung von Volksentscheiden sehen deutsche Verfassungsgerichte übereinstimmend anders: Der Volkswille sei gleichrangig, stehe aber nicht über der parlamentarischen Willensbildung. Ein Landesparlament habe durchaus das Recht, einen Volksentscheid zu korrigieren.

In Hamburg gab es dazu einen Präzedenzfall, der gut zum Streit um Tempelhof passt. 2004 zogen die enttäuschten Träger eines erfolgreichen Volkentscheids in der Hansestadt gegen die Privatisierung landeseigener Krankenhäuser vor das Verfassungsgericht. Denn die CDU-geführte Stadtregierung war nicht Volkes Stimme gefolgt, wonach der Krankenhausbetrieb in Landeseigentum bleiben sollte. Es wurde privatisiert – und die Verfassungsrichter fanden das in Ordnung: „Der Volksentscheid ist weder für den Senat noch für die Bürgerschaft (Hamburger Parlament) verbindlich.“ Dies folge schon daraus, dass der zur Abstimmung gestellte Antrag „lediglich eine Aufforderung an den Senat enthält“, heißt es im Urteil. Der Volksentscheid entspreche einem unverbindlichen Ersuchen des Parlaments. Außerdem könne wegen der Gleichrangigkeit von Volkswillen und Parlamentsbeschlüssen „der Volksgesetzgeber durch den parlamentarischen Gesetzgeber korrigiert“ werden. Dies war in Hamburg mit der Verabschiedung eines Privatisierungsgesetzes in der Bürgerschaft geschehen.

Andererseits wies das Gericht den Hamburger Senat auf die politische Wirkung erfolgreicher Volksentscheide hin. Sie übten „starken Druck“ aus und signalisierten der Regierungsmehrheit, dass sie ihre Politik überdenken müsse, „will sie nicht ihre Wiederwahl aufs Spiel setzen“. Senat und Parlament dürften nicht leichtfertig über Volkswillen hinweggehen, sondern müssten „diesen würdigen und danach eine Abwägung vornehmen“. Der Grundsatz der Organtreue erfordere eine solche „gegenseitige Berücksichtigung der Auffassungen“. In Hamburg wurde dem Senat und der Bürgerschaft bescheinigt, sich unvoreingenommen und ausführlich mit dem Volksentscheid auseinandergesetzt zu haben. Dies würde sicher auch das Berliner Verfassungsgericht einfordern.

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