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Berlin: Tempodrom-Gutachten belegt: Land war gewarnt

Der Bürgschaftsausschuss sicherte 12,7-Millionen-Euro-Kredit ab, obwohl Prüfer auf die Lücken im Finanzierungskonzept hinwiesen

Von Dagmar Rosenfeld

und Lars von Törne

Die Finanzierung des Tempodroms ist von Anfang an riskanter für das Land Berlin gewesen als bislang öffentlich bekannt. Schon im Jahr 2000, in dem das Land dem Kulturbau mit seiner Bürgschaft zu einem 12,7-Millionen-Euro-Kredit der Landesbank Berlin LBB verhalf, gab es deutliche Hinweise, dass die Kostenplanung des Neubaus am Anhalter Bahnhof nicht zu halten sein würde.

Im Vorfeld der Bürgschaftsvergabe im Juni 2000 hatte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC im Auftrag der Senatsfinanzverwaltung das Finanzierungskonzept für den Tempodrom-Bau geprüft. Aus dem PWC-Gutachten, das dem Tagesspiegel und dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) vorliegt, geht hervor, dass der Betrieb der Tempodrom-Betreiber Irene Moessinger und Norbert Waehl bilanziell überschuldet war und dass geplante Millioneneinnahmen durch externe Sponsoren für die Finanzierung des Bauprojekts weit hinter den Zielvorgaben zurücklagen. Trotz dieser Warnhinweise stimmte das Land Berlin einer Bürgschaft in Höhe von rund zehn Millionen Euro für den Kulturbau zu – allerdings unter der Voraussetzung, dass die bilanzielle Überschuldung beseitigt werden solle. Das geht aus dem Protokoll der Bürgschaftssitzung vom 21. Juni 2000 hervor, das dem Tagesspiegel und dem rbb ebenfalls vorliegt. Die Bürgschaft ist dann in den beiden Folgejahren von der SPD-geführten Landesregierung als der zentrale Grund für die weiteren Millionenhilfen zur Rettung des Tempodroms angeführt worden. Man habe eine Insolvenz vermeiden wollen, weil dann die Zahlung der Bürgschaft fällig geworden wäre, hat Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) immer wieder betont.

Politisch verantwortlich für die Tempodrom-Bürgschaft waren in der damaligen großen Koalition die CDU-Senatoren Peter Kurth (Finanzen) und Wolfgang Branoner (Wirtschaft). Entscheidend für die Vergabe war das PWC-Gutachten. Ein Gutachten, in dem die Prüfer gleich zu Anfang darauf hinweisen, dass ihr Bericht auf Unterlagen und mündlichen Aussagen beruht. „Wir haben dieses Material aufgrund des uns erteilten Auftrags kritisch durchgesehen und zweckentsprechend ausgewertet, ohne es jedoch auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit anhand der Bücher und Schriften des Kreditnehmers (der Stiftung Neues Tempodrom, Anm. d. Red.) geprüft zu haben.“

Das Land bewilligte also die Bürgschaft von zehn Millionen Euro auf Grundlage eines Gutachtens, das sich zum Teil auf Aussagen und Unterlagen stützte, die laut PWC nicht auf ihre Richtigkeit geprüft wurden. Für die Bürgschaft wird nun aller Voraussicht nach der Steuerzahler aufkommen müssen – egal ob das Tempodrom wie geplant verkauft wird oder insolvent geht.

Nach Ansicht der Grünen hätte dieses Finanzdesaster vermieden werden können, wenn die damals Verantwortlichen die kritischen Hinweise in dem PWC-Gutachten ernster genommen hätten. „Die zuständigen Senatoren haben alle Warnungen ignoriert“, sagt Oliver Schruoffeneger, Haushaltsexperte der Grünen und Mitglied des Tempodrom-Untersuchungsausschusses. Dabei habe das Gutachten offenbart, wie fragwürdig und chaotisch das Finanzierungssystem für den Tempodrom-Bau gewesen sei. Das zeige sich besonders deutlich beim Thema Sponsoring.

In ihrem Bericht führen die Wirtschaftsprüfer auf, dass die Tempodrom-Betreiber Moessinger und Waehl das Unternehmen IMG beauftragt hatten, externe Sponsoren zu suchen. Deren Zahlungen sollten ein tragender Teil der Finanzierung sein. Bis Ende 2000 sollten so rund fünf Millionen Euro zusammenkommen. Laut Vertrag sollten davon bereits am 1. April 2000 zwei Millionen Euro gesichert sein. In der Realität hatte IMG bis dahin laut Gutachten allerdings nur eine vorläufige Sponsoringvereinbarung mit einer Bierfirma über 800 000 Euro getroffen, von denen dem Tempodrom im ersten Jahr gerade einmal 123 000 Euro zugute kommen sollten.

Auch die Einschätzung der wirtschaftlichen Situation des alten Tempodroms in dem Prüfbericht weist offensichtliche Widersprüche auf. Einerseits führen Moessinger und Waehl laut Gutachten ihre Geschäfte seit 20 Jahren „mit Erfolg“. Andererseits ist ihr Unternehmen zum Zeitpunkt der Begutachtung bilanziell überschuldet – laut Gutachten sei die Tempodrom GmbH im Jahre 1998 mit rund 100 000 Euro überschuldet gewesen. „Da stellt sich natürlich die Frage, wie sich das miteinander verträgt“, sagt der PDS-Rechtspolitiker Klaus Lederer. Dass das Land die Bürgschaft gewährte, ist seiner Meinung nach nur dadurch zu erklären, dass sie politisch gewollt war.

Die Tempodrom-Betreiber Irene Moessinger und Norbert Waehl wollten wegen des derzeit laufenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft gegen sie zu der Angelegenheit nichts sagen. PWC äußert sich grundsätzlich nicht zu vertraulichen Gutachten.

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