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Terrorverdacht: Berliner Soziologe überraschend freigelassen

Andrej H. ist aus der Haft entlassen und wieder bei seiner Familie. Ermittelt wird weiterhin. Demonstranten protestierten vor dem Gefängnistor und forderten weitere Freilassungen.

Als Andrej H. schon bei der Familie saß, regte sich vor den Toren des Gefängnisses in Moabit der Protest. 250 Menschen, darunter viele Studenten und Professoren, kamen am frühen Abend im Carl-von-Ossietzky-Park zusammen, um für die Freilassung von drei weiteren Verhafteten zu demonstrieren. Die Polizei hatte Straßen abgesperrt, aus den Boxen dröhnte Punkrock, die Sprecherin der Initiative rief ins Mikrofon: „Alle Verdächtigen sollen frei!“ Es blieb bis zum Abend friedlich.

Zeitgleich teilte Andrej H.’s Anwältin Christina Clemm mit, dass der Soziologe der Humboldt-Universität „sehr froh und aufgeregt“ gewesen sei, aus der Haft entlassen zu sein und seine Familie wiederzusehen. Wie berichtet, saß Andrej H. seit dem 1. August wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Untersuchungshaft. Gemeint ist damit die „Militante Gruppe“ (MG), der 20 Brandanschläge auf Polizei- und Militärfahrzeuge zugeschrieben werden. Gegen Andrej H.’s Haft protestierten weltweit Wissenschaftler.

Wie lange der 36-Jährige auf freiem Fuß bleibt, ist ungewiss: Der Haftbefehl wurde nur außer Vollzug gesetzt. Der Verdacht bestehe weiter, heißt es bei der Bundesanwaltschaft. H. war mit den drei anderen Verdächtigten aus Berlin festgenommen worden; die Männer sind 35 bis 46 Jahre alt.

Petra Pau, Vize-Vorsitzende der Fraktion Die Linke, sagte: „Dass der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wurde, bedeutet keine Entwarnung.“ Noch immer werde nach Paragraf 129 Strafgesetzbuch ermittelt. Nach dieser „verblüffenden Konstruktion“ könne nahezu jeder einer terroristischen Vereinigung zugerechnet werden. Der Paragraf müsse außer Vollzug gesetzt werden. „Er öffnet Willkür Tür und Tor.“

Wie berichtet, begründet sich der Verdacht nach bisherigen Erkenntnissen allein auf die Ähnlichkeit von Begriffen, die der Soziologe in seinen Forschungsarbeiten genutzt hat und der Wortwahl in Bekennerschreiben der MG. Außerdem soll sich Andrej H. zwei Mal mit einem Mann getroffen haben, der später bei der Ausführung eines Brandanschlags auf ein Bundeswehrfahrzeug festgenommen wurde.

Bisher hatten die Ermittlungen wenig Erfolg. Da keine Beweise bekannt sind, spricht die Rechtsanwältin von einem „Konstrukt“ der Bundesanwaltschaft. Die Kollegen des Soziologen sehen einen Angriff auf die freie Meinungsäußerung. Jeder kritische Wissenschaftler könne ins Visier der Fahnder geraten. ball/twa

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