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Berlin: Teurer Kinderschutz

Mehr Fälle von Verwahrlosung werden gemeldet Bezirke können Folgekosten nicht schultern

Seit im Februar 2007 das Netzwerk Kinderschutz, mit dem die Zusammenarbeit von Polizei, Ämtern und Ärzten verbessert werden soll, ins Leben gerufen wurde, ist die Zahl der gemeldeten Fälle von Kindesverwahrlosung erheblich gestiegen. Von Januar bis Juni 2008 gingen alleine beim Bezirk Mitte 471 Meldungen ein – 175 mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. „Diese deutliche Steigerung hat damit zu tun, dass das Netzwerk Kinderschutz greift“, sagt Rainer-Maria Fritsch (parteilos, für die Linke), Jugendstadtrat in Mitte. Die Stellen arbeiteten besser zusammen, und die Bevölkerung sei sensibler als früher.

Allerdings wird das für die Bezirke richtig teuer. „Wir brauchen insgesamt 34 bis 39,5 Millionen Euro mehr für die Hilfen zur Erziehung“, sagt Fritsch. Berlinweit seien die Ausgaben durchschnittlich um acht Prozent gestiegen. Unter dem Begriff Hilfen zur Erziehung werden unterstützende Maßnahmen zusammengefasst, die greifen sollen, wenn Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind. Das kann von einer Beratung in der Familie bis zur Betreuung im Heim reichen. Der Senat hat den Bezirken dafür im Jahr 2008 rund 319 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. 2002 waren es 451 Millionen. Mitte beispielsweise bekommt für dieses Jahr 31 Millionen Euro. „Wir brauchen aber fünf Millionen mehr“, sagt Fritsch.

Mit Mehrausgaben in ähnlicher Größenordnung rechnet Gabriele Vonnekold (Grüne) für Neukölln. Auch Dirk Retzlaff (SPD), Stadtrat in Treptow-Köpenick, hat mit den gestiegenen Kosten zu kämpfen. Etwa 33 Prozent mehr Kinder mussten im Bezirk in Obhut genommen werden, sein Budget werde deshalb um vier Millionen Euro überschritten, sagt Retzlaff.

Seiner Kollegin in Steglitz-Zehlendorf, Anke Otto (Grüne), fehlen 5,5 Millionen Euro. Sie sieht allerdings für das kommende Jahr „Land in Sicht“, da durch einen neuen Bemessungsschlüssel die ebenfalls wieder veranschlagten 319 Millionen Euro anders auf die Bezirke verteilt werden. Für Reinickendorf hat dies die gegenteilige Wirkung. Trotz steigender Fallzahlen ist laut Stadtrat Peter Senftleben (SPD) die Haushaltszuweisung in diesem Jahr ausreichend, für 2009 sieht er eine Lücke von drei bis vier Millionen Euro.

Die Jugendstadträte beurteilen die Situation der Bezirke als dramatisch. Im Oktober werden sie sich zu einer Krisensitzung treffen. „Wir können das nicht mehr alleine lösen“, sagt Fritsch. Die Zuweisungen für 2008 müssten korrigiert und der Haushaltsplan für 2009 erheblich nachgebessert werden. „Wenn das so bleibt, müssen wir die soziale Infrastruktur wie Musikschulen und Bibliotheken infrage stellen“, sagte Fritsch. Von der Senatsfinanzverwaltung war gestern bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe keine Stellungnahme zu erhalten.

Allerdings hat der Senat in diesem Jahr die Jugendämter personell besser ausgestattet. Darauf hatten sich im August die Stadträte und der Finanzsenator geeinigt. Die Bezirke dürfen zum ersten Mal seit Jahren 90 vakante Stellen im Kinderschutz von außen besetzen. Einzige Bedingung dafür: 58 zusätzliche pädagogische Kräfte müssen sie aus dem zentralen Stellenpool des Landes nehmen. „Das ist zumindest ein Fortschritt“, sagte Sabine Walther, Geschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbundes in Berlin. Sie hatte das Netzwerk Kinderschutz noch im Frühjahr als „Papiertiger“ bezeichnet. Matthias Jekosch/Sigrid Kneist

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