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Das Kabarett-Theater Distel im Admiralspalast am Bahnhof Friedrichstraße in Mitte.

© Thilo Rückeis

Theater Distel: Lachen aus Notwehr

Das Kabarett-Theater Distel wird 65 – will aber keinen Rentenbescheid. In der Jubiläumsshow werden die letzten DDR-Bürger befreit.

Frei nach Loriot formuliert Astrid Brenk die Kampfaufgabe ihres Betriebes so: „Ein Leben ohne ,Distel‘ ist möglich, aber sinnlos“. Sinnvoll wäre es also nach Ansicht der Geschäftsführerin, ein Leben mit den Späßen des Kabarett-Theaters gegenüber dem Bahnhof Friedrichstraße zu führen, zu Lachen und manchmal auch zu Weinen. Oder beides. Das haben die Distelfinken seit nunmehr 65 Jahren ganz gut hinbekommen. Wenn es die DDR noch gäbe, könnte man sagen, dass unser Kabarett nun im Rentenalter ist und als Lohn für tapferes Durchhalten in den Westen reisen, also rübermachen darf. Geschenkt.

Aber solch seltenes Jubiläum für ein Kabarett muss gefeiert werden! Die Proben laufen für die Jubiläumsaufführung am 13. Oktober. Das 149. Distel-Programm heißt „2018: Odyssee im Hohlraum“. Es wird keine Nummern-Revue, sondern behandelt ein ulkiges, schier unglaubliches Thema an einem Stück: In einem Callcenter jobben schlecht bezahlte Leute. Bei einem illegalen Wanddurchbruch finden sie in einem Hohlraum zwei, wie es heißt, „gut erhaltene Ostdeutsche“.

Die beiden leben dort seit dem 17. Juni 1953 versteckt und haben sich mit einem riesigen Vorrat an Würzfleischkonserven („Ragut fin“) angeblich „blendend gehalten“. Nun treffen sie erstaunt auf das heutige Berlin von 2018. „Und erst durch ihren unschuldigen Blick sehen wir, wie irre unsere Welt heute geworden ist“, sagt Thomas Lienenlüke, der Autor. Naivität trifft auf Realität, da hat ein Kabaretttexter ein weites Spielfeld und kann reihenweise auf oder ins Humor-Tor schießen.

Zum Jubiläum gibt es gar eigene stachlige Festtage: „Die Zukunft ist kein Ponyhof“ hat als „kabarettistische Überraschungsparty“ am 2. Oktober Premiere, als Gratulanten kommen die Leipziger academixer mit „Ein irrer Duft von Geld wie Heu“ (2. 10.) und auch die Münchner Lach- und Schießgesellschaft gibt sich die Ehre, am 4. und 5. Oktober. Zum Tag der deutschen Einheit am 3. 10. diskutieren bekannte Kabarettisten auf einem Satiriker-Gipfel über sich und mit dem Publikum, Gerd Appenzeller vom Tagesspiegel moderiert das Ganze.

"Merkel und die deutschen Michel" im Theater Distel.
"Merkel und die deutschen Michel" im Theater Distel.

© Chris Gonz

65 Jahre Kabarett in zwei Systemen

Da wird dann wohl auch ausführlich die eigene Wäsche gewaschen: 65 Jahre Kabarett in zwei Systemen – das gibt schon ein langes Extra-Spezial. „Der Irrwitz in Politik und Gesellschaft lässt das Kabarett zu keiner Zeit alt aussehen“, sagen die Jubilare. Heute, da man alles sagen darf und allabendlich ein fröhliches Politiker-Bashing betreiben kann, hat ein Kabarett ganz andere Bedingungen als zu Zeiten, als immer irgendein Funktionär etwas zu bekritteln hatte.

„Heute sollte sich das Publikum von politischer Frustration freilachen können“, sagt der künstlerische Leiter Dominik Paetzholdt. „Da aber Satire dort anfängt, wo der Spaß aufhört, fühlt sich die Distel einem gut recherchierten, investigativen Kabarett verpflichtet und möchte durchaus konfrontieren, differenzieren und zu konstruktiver Veränderung von Gedanken- und Handlungsspielräumen anregen“. Das Publikum soll sich nicht als Opfer fühlen, sondern etwas tun, meinetwegen Aufstehen und ein bisschen an den (Vorsicht: Fußballtrainerweisheit!) Stellschrauben drehen.

Das war ja zu DDR-Zeiten ganz anders. Die Distel-Leute haben 37 von 65 Jahren unter seltsamen Verhältnissen gespielt, gedacht, gestachelt und gelitten. Im Sozialismus war ein Kabarettprogramm für die da oben die reinste Angstnummer. Spott konnten die schon gar nicht ertragen. Angepiekst sollte nur der böse Klassenfeind, und beim Lachen über sich selbst hörte bei den engherzig-phantasielosen Funktionären der Spaß da auf, wo er beim Publikum erst richtig begann.

Die Distel lebt

Schon die Geburt war Kabarett: Die Rias-Hörer in West und Ost lachten sich hab tot über Professor Kwatschni und Herrn Pollowetzer in den Rias-Insulanern, und diese Nummernrevue musste sozialistisch beantwortet werden. Im Vertrag für den ersten Distel-Direktor steht, er möge „die Mittel der Satire im Kampf um die Einheit Deutschlands und einen dauerhaften Frieden wirksam werden lassen“. Ziel erreicht – Soll erfüllt, könnten wir heute sagen.

Aber um welchen Preis? „Wenn das Volk lacht, macht es keine Revolution“, antwortete ein Funktionär jenen Super-Genossen, die sich in der Distel durch den Kakao gezogen fühlten. Hier konnten die Zuschauer ihren Frust über die Unzulänglichkeiten des Alltags weglachen. Und Stars wurden geboren: Gerd E. Schäfer, Lutz Stückrath, Heinz Draehn, Gustav Müller, Otto Stark, Peter Ensikat. Die Stasi saß zeitweise im Intendantenzimmer, dennoch ließ einmal Edgar Kühlow vom Publikum einen Text kreieren, den der ganze Saal begeistert sang: „Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht. Meine Oma, die hat keene, Zahngold gibts für Ostgeld nicht.“ Heute sagt kein Oberbürgermeister (wie Friedrich Ebert): „Distel ist Unkraut und muss ausgerissen werden. Das ist Schizophrenie. Wir geben denen das Geld, und die kritisieren uns dafür“.

Die Distel lebt. Platz-Auslastung: 65 Prozent. Die Kanzlerin ist jeden Tag präsent: als lebensgroße Figur am Eingang. Jüngst, als sie zu einer Tagung kommen sollte, stellten die Sicherheits-Funktionäre die Frage, ob man das Poster nicht entfernen sollte. Da war sie wieder da, die kleine DDR. Merkel blieb dran. Basta.

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