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Jugendtheater

© dpa

Theater: Kein Bock auf Bühne

Berlins Kinder- und Jugendtheater ziehen immer weniger Zuschauer an. An den Schulen herrsche kaum noch Interesse. Immer öfter müssen die Nachwuchsschauspieler vor nahezu leeren Rängen spielen.

Die Schauspieler der Berliner Kinder- und Jugendtheater blicken auf leere Sitzplätze. Dort, wo früher Scharen aufgeregter Schüler ihre Hälse nach dem Geschehen auf der Bühne streckten, herrscht Stille. Egal ob im Strahltheater oder dem Theater an der Parkaue: Die Schulklassen bleiben aus. Viele Theater kämpfen deshalb ums Überleben.

Das Grips-Theater am Hansaplatz spürt das Fernbleiben der Schüler in besonderem Maße: Im vergangenen Jahr kamen rund 20 Prozent weniger Schulklassen als in den Vorjahren, die Verantwortlichen verzeichneten hohe Einbußen. „Das Ausbleiben der Schüler hat bei uns eine überraschende Delle hinterlassen. Viele Vorstellungen mussten deshalb ausfallen. Dass die Schüler nicht mehr kommen, ist nicht nur ein Berliner Problem, sondern ein bundesweites Phänomen“, sagt Volker Ludwig. Der Intendant und Leiter des Grips-Theaters sieht mehrere Gründe für den plötzlichen Einbruch in den Besucherzahlen: „Die 68er-Generation der Lehrer geht in Pension. Diese Leute waren sehr engagiert und an politischen Themen interessiert“, so Ludwig. Die Lehrergeneration von heute? Zeige zu einem großen Teil eher wenig Begeisterung fürs Theater. „Habt ihr nichts Lustigeres im Angebot? – So eine Frage hätte ich früher nicht gehört. Anspruchsvolle Themen sprechen viele Lehrer von heute anscheinend nicht mehr an“, sagt Ludwig. Nachdenklich stimmende Stücke wie „Nellie Goodbye“, in dem es um die Erkrankung eines Mädchens an einem Gehirntumor geht, mieden die meisten Lehrer mit ihren Klassen ebenso wie Außenseiterthemen, etwa „Raus aus Amal“, ein Stück, das sich mit Homosexualität beschäftigt. Um die Lehrer wieder ins Theater zu locken, stehen beim Grips in diesem Jahr Stücke auf dem Spielplan, die sich mit klassischen Schulthemen wie Mobbing und Gewalt auseinandersetzen. Zur Kostendeckung spielt das Grips-Theater auch vermehrt bewährte Stücke wie das Musical „Linie 1“. Volker Ludwig genügt damit mehr der Not als dem eigenen Anspruch: „Dazu mache ich doch nicht Theater, dass ich nur für Touristen spiele. Die tief greifenden Themen fehlen.“

Wolfgang Harnischfeger, Schulleiter des Steglitzer Beethoven-Gymnasiums, sieht den Grund für das Ausbleiben der Schulklassen nicht im schwachen Engagement der Lehrer, sondern in der neuen Umstellung des Gymnasiums von 13 auf zwölf Jahrgangsstufen. „Die Schüler haben im Schnitt 35 bis 37 Wochenstunden und müssen nach der Schule auch noch Hausaufgaben machen. Die Bereitschaft, sich außerschulisch zu betätigen, sinkt auch in Musik und Sport. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Schüler sich gar nicht mehr für den Theaterbesuch interessieren, wenn wir derartiges anbieten“, sagt Harnischfeger. Am Beethoven-Gymnasium hat die Schulleitung deshalb den Theaterbesuch für Schüler der neunten Jahrgangsstufen zur Pflichtveranstaltung gemacht.

Um Kindern und Jugendlichen das Spiel auf der Bühne wieder nahezubringen, setzt das landeseigene Theater an der Parkaue auf Außendienstmitarbeiter: Acht Theaterpädagogen gehen direkt an die Schulen. Sie informieren Schüler und Lehrer über Spielpläne, bieten Publikumsgespräche und Workshops an. Beim sogenannten „Lehrertag“ am 4. Oktober gibt es die Gelegenheit, Einblicke in die Produktion und die Arbeit am Haus zu nehmen. Kinder, deren Eltern Hartz-IV-Empfänger sind, erhalten Theaterkarten für den verringerten Eintrittspreis von 1,50 Euro. „Mit den Neuerungen haben wir 20 000 Besucher mehr erreicht als im Vorjahr“, sagt Theaterchef Jürgen Lautenschläger.

Auch die Mitarbeiter des Grips-Theaters würden gerne neue Wege im Bereich Marketing gehen – allerdings fehlen dem Theater dazu die finanziellen Mittel. Das Grips-Theater hat 100 000 Euro Schulden, neue Theaterpädagogen kann sich das Haus nicht leisten. Bisher sind im pädagogischen Bereich nur zwei halbe Stellen besetzt – zu wenig, findet Volker: „Wir benötigen mindestens zwei weitere Theaterpädagogen und außerdem einen zusätzlichen Dramaturgen.“ Die problematische Situation schilderte der Intendant kürzlich vor dem Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses. „Ich habe bei den Mitgliedern aller Fraktionen Wohlwollen gespürt und bin zuversichtlich, dass wir eine zusätzliche Finanzhilfe erhalten. Ob die laufenden Zuschüsse um 150 000 Euro erhöht werden, wie wir es fordern, ist jedoch fraglich“, sagt Ludwig. Bisher erhielt das Grips einen Zuschuss von rund 2,5 Millionen Euro pro Jahr. Für Alice Ströver, kulturpolitische Sprecherin der Grünen, ist das zu wenig. „Das Theater an der Parkaue bekommt schließlich Mittel in der Höhe von fünf Millionen Euro“, sagt sie. Ob die rot-roten Koalitionspolitiker das auch so sehen, wird sich zeigen: Am 29. Oktober entscheidet der Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses über die Höhe der Zuschüsse für die Kinder- und Jugendtheater.

Katja Görk

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