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Berlin: Theodor Eichheim (Geb. 1936)

Seine Skulpturen suchten das Gleichgewicht – wie er selbst.

Gegen Ende der Sechziger bewirbt sich der junge Kunsterzieher Theodor Eichheim um eine Stelle an der Deutschen Schule Bilbao, Spanien. In Berlin hat er die schönste und talentierteste Frau der Kunstakademie geheiratet und in Bayern, wo er aufgewachsen war, ein kurzes Engagement als Lehrer hinter sich gebracht. Jetzt ist es für das Paar an der Zeit aufzubrechen.

In Spanien herrscht Francisco Franco. Theo bringt in Bilbao spanischen und deutschen Schülern bei, dass Kunst nicht nur mit Ästhetik, sondern auch mit Haltung zu tun hat. In Deutschland gehen die Studenten auf die Straße. Aus der Ferne beobachtet Theo gespannt die Geschehnisse – so gut das eben geht in einem Land ohne freie Presse. Wenn ein Freund zu Besuch ist, will Theo genau wissen, was in Berlin passiert, was es auf sich hat mit den neuen Politik- und Lebensmodellen.

Nach fünf Jahren quittiert er den Dienst an seiner Schule. Die zuständige bayerische Behörde hat Theo eine Rüge erteilt, als er, der beamtete deutsche Lehrer, sich für die gleiche Bezahlung der spanischen Kollegen einsetzte.

Ein Befreiungsschlag, der mutig macht. Auf einer Reise zum Mittelmeer entdeckt er die Schönheit und Ruhe der Provinz Tarragona. Er lässt sich seine bescheidenen Rentenansprüche auszahlen und legt den Grundstein zu seinem Lebenswerk. Wenn man den Bürgermeister gewinnen kann, ist die Bürokratie Nebensache. Theo, gesellig, charismatisch, mit Witz, darf Land kaufen. Sein Plan: ein Dorf für Aussteiger, Künstler, Freunde und Freunde von Freunden. Für 3000 Mark bekommt jeder 160 Quadratmeter Land. Ein Modell des Bergs wird gebaut. Wie müssen die Parzellen angeordnet sein, damit ein Dorfcharakter entsteht? Bescheiden soll es sein, bloß keine Villen. Dafür 32 Häuser mit Meerblick.

Eine Gruppe alternativer Deutscher baut sich ein Dorf in Spanien, La Selleta, inmitten der Wildnis, auf einem Stück Hügel oberhalb der Orangenhaine des katalanischen Städtchens Alcanar. Theo koordiniert und hilft, wo er kann. Er hat einen Draht zu den bäuerlichen Nachbarn, und dennoch gelingt es lange nicht, den Argwohn der konservativen spanischen Bevölkerung abzubauen: Hippies? Freie Liebe? Drogen? Ja, die sexuelle Revolution ist auch an dem Dorf nicht spurlos vorbeigegangen, aber es kreisten wohl weit mehr Gerüchte als Joints.

Erst die Feier zum 25. Jubiläum 1998 gerät zu einer Art Versöhnungsfest mit den Spaniern von Alcanar. Ein gemeinsamer Chor singt, auf dem Dorfplätzchen steht eine goldene Pappmachéfigur: Theo mit Gießkanne.

Als die siebziger Jahre zu Ende gehen, müssen die meisten Aussteiger erkennen, dass sich das neue Leben im spanischen Dorf auf Dauer nicht verwirklichen lässt. Auch Theo kehrt in ein bürgerliches Leben als Künstler und Lehrer nach Berlin zurück. Seine Kunst ist lange viel zu kurz gekommen, seine Arbeiten aus Holz und Gips, oft aus Fundstücken mit Patina. Seine kinetischen Skulpturen, große Mobiles aus Metall, die das Gleichgewicht suchen wie er selbst.

Mit seiner zweiten Frau und der gemeinsamen Tochter macht er jetzt Ferien in seinem Dorf. Und in der Kreuzberger Bergmannstraße kann er noch einmal seiner Leidenschaft nachgehen, Menschen für Projekte gewinnen, Räume schaffen. Gemeinsam mit Freunden kauft er ein Haus. Durch ein geschicktes und auf Ausgleich zielendes Finanzierungsmodell wird aus sehr unterschiedlichen Leuten eine gleichberechtigte, soziale Hausgemeinschaft, bei der es nicht nur darauf ankommt, wie hoch die Einlage des Einzelnen ist.

Am Ende fehlt ihm die Luft, er kann nicht mehr zum Schwimmen gehen. Da weiß Theodor Eichheim, zeitlebens ein athletischer Nichtbrillenträger, dass es nicht gut um ihn steht. Oberhalb von La Selleta, auf dem Berg mit der alten Votivkirche besitzt er ein kleines Grundstück mit herrlichem Blick zum Meer. Letztlich will er dann aber doch in Kreuzberg begraben werden. „Da können mehr Leute vorbeikommen, nicht nur im Sommerurlaub.“ Sebastian Rattunde

Sebastian Ratt, e

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