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Thilo Sarrazin: Türkische Väter laden Ex-Senator ein

Die erste Selbsthilfegruppe türkischstämmiger Männer in Deutschland lädt Thilo Sarrazin zum Gespräch ein. Der Bundesbankvorstand solle sie doch erstmal kennenlernen, bevor er über sie spreche.

Sie haben sich selten an der gesellschaftlichen Diskussion beteiligt, obwohl viel über sie gesprochen wurde. Die Männer, die Sarrazin bereits vergangenes Jahr als Produzenten von ständig neuen „Kopftuchmädchen“ bezeichnete. Jetzt hat die erste Selbsthilfegruppe türkischstämmiger Männer in Deutschland „Aufbruch Neukölln“ Sarrazin in ihren Kiez eingeladen. „Wir wollen nicht zurückschlagen, sondern unsere Hände ausstrecken, auch wenn er uns mit seinen Äußerungen verletzt hat“, sagt Kazim Erdogan, Psychologe und Initiator der Gruppe. Es sei schade, dass so viele Menschen ihm inhaltlich einfach unreflektiert zustimmten. „Auch wir sehen die Probleme und viele von uns versuchen sie zu lösen und sind dabei erfolgreich. Doch diese Menschen an der Basis kennt Sarrazin nicht.“

Beim offenen Gespräch im Creativ-Zentrum Neukölln sitzen die bärtigen Älteren, die einen Anzug tragen und zwischen ihnen die Jüngeren, deren Jeans locker sitzen. „Sarrazin spricht über uns – aber kennt er uns?“ lautete das Motto des Gesprächs, zu dem die 2007 gegründete Gruppe geladen hatte. Was die Männer zeigen wollen, ist, dass sie die männlichen Rollenbilder aufgebrochen haben und nicht jeder den Sarrazin-Klischees entspricht. „Es geht uns nicht darum, die Probleme herunterzuspielen, sondern sie anzugehen“, sagt Erdogan. Im Gespräch berichten die Männer davon, dass sie ruhiger geworden seien und welche Kniffe sie gelernt hätten, sich in schwierigen Situationen selbst zu helfen.

„Wir waren billige Arbeitskräfte und ich schäme mich heute, nicht richtig Deutsch zu sprechen. Doch damals ging die Arbeit vor und Sprachangebote gab es nicht. Dennoch ist Deutschland mein Land und das meiner Kinder, in dem ich gerne lebe“, sagt Suleymann Topalojlu, der vor 38 Jahren als sogenannter Gastarbeiter nach Deutschland kam. Und Erdogan ergänzt, dass schlecht Deutsch zu sprechen nicht gleichbedeutend damit sei, die gemeinsame Heimat Deutschland nicht zu lieben und zu akzeptieren.

Jeden Montag trifft sich die Gruppe, um über Kindererziehung, Gewalt in der Ehe und darüber zu sprechen, wie sie das Leben besser meistern können. Mit den Klischees der Außenwelt umzugehen und gleichzeitig mit den eigenen Rollenbildern von Männlichkeit konfrontiert zu sein, damit hätte jeder Mann im Raum zu kämpfen gehabt. „Viele türkische Männer haben Kommunikationsprobleme und haben als Anlaufstelle nur die Moschee oder Teestube für Männer. „Uns geht es darum, diese Sprachlosigkeit zu überwinden, um die Generationen in den Familien zu verbinden“, sagt Erdogan.

Deshalb sei es für die Gruppe wichtig, dass in der Debatte auch die Geschichte der Zuwanderung der ersten „Gastarbeiter“– und deren Einfluss auf die späteren Generationen miteinbezogen werde. „Würde mich Sarrazin bei meiner Arbeit begleiten und mit den Migranten reden, würde er mehr erreichen als durch sein Buch“, sagt Erdogan. Bei einem Besuch garantiere er ihm einen Geleitschutz von 100 türkischstämmigen Männern. Er werde sich wundern, wie warmherzig diejenigen zu ihm sprechen würden, die er stigmatisiert habe. „Jetzt wird es Zeit, dass er Kontakt zu ihnen aufbaut. Denn es ist nie zu spät, die Probleme richtig anzugehen." Hadija Haruna

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