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Berlin: Thomas Bauer (Geb. 1958)

Das Leben ist kurz, aber war es für die Anderen so viel länger?

Kann man ja auch mal so sehen: Da zog einer weg aus der kleinen Stadt, in der sie Kinder kriegten und Fußball spielten und alt wurden in ihrem Job, in die große Stadt, die eine kleine Stadt war, Kreuzberg, in der sie kifften und soffen und von einer Freiheit träumten, die in immer weitere Ferne rückte. Das Geld machten Dealer und Immobilienspekulanten, und sonst blieb da nicht viel außer dem Gassenhauer von den Kreuzberger Nächten, die immer länger wurden und immer dunkler. Einer nach der anderen ging unter im „Bermuda“, was seine Stammkneipe war und sein Arbeitsplatz und sein Lebenstraum, von dem nichts blieb als ein paar Dutzend scheppernde Kassetten mit Musik, die anderen wie Lärm im Ohr klingt.

Kann man natürlich auch anders sehen: Er ging weg aus der kleinen Stadt, weil er seinem Herzen folgte, das ihn zu Inge zog, und weil da der Blues in seinen Ohren klang, den er dann mit Taki und Taxi-Klaus spielte. In der eigenen Band, „All Blue“, die auf YouTube beim Proben zu sehen ist. Er spielte mit links, wie Jimi Hendrix, nicht ganz so flink, aber er spielte ja auch den Bass, und er brauchte nicht immer alle Saiten. Wenn mal eine riss, spielte er mit dreien weiter.

„Wer traut sich denn, so was aufzunehmen?“, fragte der spätere Keyboarder. Sie sind dann noch oft zusammen aufgetreten als Band, all around in Kreuzberg, und einmal sogar in Weißensee: Fuck the world tour. Mit Rock in den Herrentag, da musste jeder Musiker einen Rock anziehen. Der Spaß ging so lange, bis es mit den Ohren immer schlechter wurde und mit den Songtexten, die ihm einfach nicht mehr im Kopf bleiben wollten. Da hörte er auf in der Band, was wehtat.

Er legte gern Musik auf im „Bermuda“, seine Musik, oder auch mal Zirkusmusik in Endlosschleife, er ließ sich nicht gern stören hinterm Tresen, erst recht nicht von Bestellungen. Aber wenn es was zu helfen galt, dann war er mit seiner Ziehkarre zur Stelle und transportierte von da nach da, was auch immer. Sein Herz verschenkte er an viele für eine Weile, an Nono aber ganz und gar, nur starb sie viel zu früh, und an Margit, die Chefin vom „Bermuda“, aber der war er irgendwann zu lieb, sie stand mehr auf die Durchgeknallten. Er war ein Feiner, hatte ja auch Feinmechaniker gelernt, mit den Händen war er geschickt, die Lehre als Goldschmied jedoch blieb ein Traum. Schmuck hat er trotzdem gemacht, aus altem Besteck. Zu Hause bei ihm sah es aus wie in einem großen Setzkasten.

Er war ein dünner Schlaks, immer gut gegessen, aber angesetzt hat er nichts. Das Rauchen hielt schlank, zum Schluss mussten sie ihm sogar die halbe Lunge rausnehmen, was natürlich auch an Tschernobyl liegen konnte. Etwas mehr als ein Jahr blieb ihm nach der OP noch. Er lernte auf der Ukulele spielen und wollte noch mal nach Rügen fahren, aber dafür fehlte das Geld. Nach Geltow war der Weg kürzer. Da stand inmitten vieler Maulwurfshügel sein alter Zirkuswagen, in den sie immer eingebrochen waren, bis er einfach die Tür offen stehen ließ. Er saß abends gern am Lagerfeuer, und ob ihm da manchmal die Tränen kamen, weiß keiner. Auf Barbados war er ja schon gewesen, mit seinem besten Kumpel, und auf dem Led-Zeppelin-Konzert in England und bei Eric Burdon, in der „Neuen Welt“. Das Leben ist kurz, aber war es für die Anderen so viel länger?

Er wollte keine Chemo. Das Geld, das er der Krankenkasse sparte, sah er dennoch nicht. Das ist ihm bitter aufgestoßen, dass er so hingehalten wurde und keine ordentliche Pflege bekam, nicht mal was zum Kiffen zum Schluss. Schnaps und Bier gab es auf der Palliativstation, aber der Joint wurde ihm verwehrt. Er hat sich geschämt, Hilfe von den Freunden anzunehmen. Wenn sie ihm was hinlegten, hat er zur Seite geguckt: „Brauch ich nicht.“ Aber immer ein Lächeln, bis zum Schluss. Was soll man da noch groß sagen? Er war ein feiner Kerl. Und jetzt ist er tot. „Wenn du tot bist, dann ist es leicht“, hat er gesagt, vielleicht ahnte er da schon, dass er bei Nono im Grab unterkommen würde.

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