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Berlin: Thomas Kramer (Geb. 1952)

Hausmeister war er und hatte nach Polizeirazzien immer viel zu tun

Wo wir am Leben gehindert werden, fängt unser Widerstand an!“ Der letzte Gruß vom Tommy-Haus, ein Blumengebinde der anderen Art: roter Stern auf dunklem Grund. Mehr als hundert Menschen geben Thomas, den sie alle nur Otto nannten, auf dem Friedhof am Mehringdamm das letzte Geleit, als würde ihre Welt ihren Papst verlieren. Ein Haus seine Seele. Seinen Hausmeister. Fast allen von ihnen hat er die Umzugskartons geschleppt. Rein und raus. Sie haben ihn nicht vergessen, auch wenn sie längst woanders wohnen.

Thomas beziehungsweise Otto entsprach so gar nicht den Klischees seines Berufsbildes. Der Hausmeister als Blockwart, Ordungs- und Sauberkeitsfanatiker? Sein Haus, das Tommy-Weisbecker-Haus in Kreuzberg, ist allerdings auch ein eher ungewöhnliches, buntes Haus. Punks, Treber und andere Randständige finden hier eine Bleibe, seit vielen Jahren schon. Anfang der Siebziger hatten die Gründer des Wohn- und Sozialprojekts die Kriegsruine dem Senat abgetrotzt.

Wer ihn nicht Otto nannte, sagte King Kong zu ihm, weil er so groß und kräftig war mit seinen langen Haaren und den spackigen Jeans. Er war der ruhende Pol in unruhigen Zeiten, und davon gab es einige in dem Haus, das den Namen des Terroristen Thomas Weisbecker trug. Den hatte ein Polizist 1972 erschossen. Nach Polizeirazzien gab es für den Hausmeister immer viel zu tun. Dabei war er eher ein langsamer Arbeiter, der seine immense Körperkraft allerdings effektiv einzusetzen wusste.

Alles an ihm war XXL. Sein Bauch, sein Bart, seine Haare und sein Herz für alle. Als er sich Mitte der Siebziger im Tommy-Haus vorstellte und um eine Wohnung bat, gab er als Grund „Probleme in seiner Männer-WG“ an. Welche Probleme, geschenkt. Alle, die sich im Tommy-Haus vorstellen, haben Probleme. Mit dem Staat, der Gesellschaft, der Normalität. Ein Auffangbecken für Gestrandete, kurze Zeit oder für länger. Otto blieb bis zum Ende seines Lebens. Viele Jahre auf einer Baustelle, die erst Anfang der Neunziger fertig wurde. In einer ständig wechselnden Ersatzfamilie, deren respektierte Autorität er war. Wenn auf der Hausversammlung die Probanden für den spontanen Drogentest benannt wurden, zog er die Lose. Keine Manipulation.

Mit Drogen hatte er selbst nie zu tun. Nicht seine Welt. Sein riesiger Körper wurde von Cola und Gitanes am Laufen gehalten. Nur einmal im Jahr genehmigte er sich einen Rausch. Zwei Flaschen Wodka, danach der Kater. Das genügte, um sein Umfeld zu verstehen.

Seine frühe Geschichte, für die er sich zeitlebens schämte, ist schnell erzählt. Eltern Mediziner, er Schulschwänzer. Jahre im Heim. „Ich wollte nichts lernen. Ich war faul.“ Er erbt etwas Geld und eine Haushälfte in Frankreich, wo sein Bruder residiert.

Im Tommy-Haus blüht Otto auf. Ein Zimmer mit Balkon, Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftsbad. Werkstatt und Schlüssel für alle Räume. Otto ist Sammler, Sammler für alles. Eine wertvolle Comicsammlung, mehr als 300 Zippo-Feuerzeuge, klei- ne Gummifiguren, die auf Kopfdruck die Augen hervorquellen lassen und aus dem Hintern sonstwas. Über so was kann er sich kaputtlachen. Stellt seine Trophäen auf die Schreibtische der Mitarbeiter. Und freut sich, wenn sie staunen.

Auch Nützliches sammelt er, Werkzeuge, Thermostate, Schrauben, Messer, Gürtel, alles im vielfachen Dutzend. Er verleiht auch alles, „aber bitte wiederbringen!“ Die Dinge stecken in Kisten, wuchern durch sein Zimmer, Gangsysteme dazwischen zum Hochbett, zum Fernsehsessel und zum Balkon. Auch die Werkstatt steht voll, in Gemeinschaftsräumen stapelt sich sein Zeug.

Im Haus murren sie. Kein Durchkommen mehr. Gespräche versanden, Otto kann sich von nichts trennen. Anfang der Neunziger soll er die Werkstatt räumen, da soll ein Veranstaltungsraum rein. Das Tommy-Haus will eine Kneipe und Konzerte. Punk-Musik heißt jetzt die Losung. Das ist nicht seine Welt. Sein Hausfeind stellt Ottos geliebte Werkbank in den Regen. Otto kippt den VW-Bus des Übeltäters um, allein. Notwehr.

Wie beim Nazi-Überfall auf das Tommy-Haus. Otto zieht den Rädelsführer, einen Michael-Kühnen-Verschnitt, in den Durchgang. Drei Kopfnüsse, dann flieht der Mob. Sonst nutzt er seine Körperkraft nur, um anderen zu helfen. Stemmt Kühlschränke, Waschmaschinen und Kisten, allein und ohne Hilfe, immer freundlich, immer heiter.

Sein Diabetes wird viel zu spät erkannt. Er muss ins Krankenhaus, eine Beinamputation droht. Zwei Freundinnen sortieren zu Hause Kisten, entmüllen, schaffen Platz. Als er zurückkommt, sichtet er die Kisten. Nichts soll weg.

Er braucht dann doch keinen Rollstuhl, aber die Krankheit nervt. Außerdem wird das Geld für seine Hausmeisterstelle mit pädagogischem Nebenauftrag immer weiter gekürzt. Die Leute aus dem Haus, alle, die dort arbeiten und wohnen, geben einen monatlichen Solibeitrag für ihn. Das gibt Kraft. Aber gegen die Krankheit genügt sie nicht. Eines Morgens wacht er einfach nicht mehr auf.

Nun diese Leerstelle. Ein Haus ohne Mörtel. Erik Steffen

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