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Berlin: Tickst du noch richtig?

Samstagnacht werden die Wecker umgestellt – wir schlafen eine Stunde länger. Das ist gut. Oder nicht? Weil es gefährlich sein kann, unsere innere Uhr zu verschieben, gibt es die Chronomedizin

Sie nannten es „den Bunker“. Mitte der 60er Jahre ließen die deutschen Physiologen Jürgen Aschoff und Rütger Wever drei Räume in den Berg unter ihrem Institut hauen: abgeschirmt durch meterdicke Mauern, getrennt durch je zwei schalldichte, wie Schleusen funktionierende Türen, versorgt über unabhängige Strom- und Wassernetze und ausgestattet mit dem, was der Mensch zum Leben braucht. Aber: ohne Uhren, Fernseher, Radio, Tageslicht, Telefon oder morgendliche Frühstücksbrötchen. Alles, was auf die Zeit hinwies, wurde eliminiert.

Und dann steckten sie Menschen in den Bunker. Und maßen jede Regung. Matratzenbewegungen, das An- und Ausknipsen der Lampen, das Betätigen der Kochplatten, das Drücken der Klospülungen oder den Beginn einer Mahlzeit. – Die Andechser Zeitexperimente wurden berühmt. Sie bewiesen, dass der Mensch eine biologische Uhr besitzt. Man weiß heute: Alle wichtigen Funktionen unseres Körpers schwanken rhythmisch, teils selbstständig, teils abhängig von Signalen der Umwelt: der Stoffwechsel zum Beispiel, aber auch Muskeltonus, Nierenfunktion oder Konzentrationsfähigkeit. Und: Sie zu stören, kann gefährlich werden.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag werden wir die Uhren umstellen – und dann beginnt wie jedes Jahr unser eigenes Experiment mit der Zeit. Es gibt Chronobiologen – Forscher, die sich mit den inneren Uhren von Lebewesen beschäftigen –, die schon seit Jahren vor den Gefahren der Zeitumstellung warnen. Weil die Sonne die künstliche Zeitumstellung nicht mitmacht, folge der Körper der Umstellung nicht so gut wie bei einer Flugreise in eine andere Zeitzone. Ein Effekt: Viele Menschen werden in dieser Nacht weniger schlafen, weil sie eine Stunde später zu Bett gehen, vom Körperwecker aber wie üblich wachgemacht werden.

Allerdings könne man, sagt Ueli Schibler von der Uni Genf, mit dieser recht harmlosen Umstellung innerhalb eines Tages fertig werden. Erst ab einer Zeitumstellung von zwei oder mehr Stunden mache sich das im Körper unangenehm bemerkbar.

Viel ernster indes sind die Risiken regelmäßiger Schichtarbeit und dauernder Jetlags – sie können sogar chronische Krankheiten auslösen. Die britische Chronobiologin Shantha Rajaratnam warnt vor teuren Schäden, die an der Volksgesundheit entstehen, wenn Menschen außerhalb der Phasen ihrer biologischen Uhren, zum Beispiel nachts, arbeiten – was immerhin auf zwanzig Prozent der Werktätigen in modernen Gesellschaften zutreffe. Langfristig drohten Herz-Kreislauf-Krankheiten und Schwächungen des Immunsystems. Relativ schnell leiden Nachtarbeiter schon an Schlaflosigkeit.

Einer der schwerwiegendsten chronobiologischen Effekte der Industrialisierung liegt nämlich in den geringen Lichtmengen, denen sich der Mensch aussetzt. Die meiste Zeit verbringt er in Räumen und ist so von natürlichen Lichtverhältnissen abgeschirmt. Die normale Innenbeleuchtung, sagt der Münchner Zeit-Biologe Till Roenneberg und erster Professor dieser Sparte, liege bei etwa 50 bis 500 Lux, während das Licht im Freien mit 8000 bis 100 000 Lux gemessen werde. Da Licht der wichtigste Zeitgeber ist, aber erst bei mehr als 1000 Lux wirkt, leben wir meist in chronobiologischer Finsternis – mit negativen Folgen für den Körper.

Und deshalb hat sich aus der Chronobiologie auch gleich die Chronotherapie entwickelt. Chronomediziner versuchen zum Beispiel zurzeit durchaus erfolgreich, die Rhythmen ehemaliger Schichtarbeiter zu normalisieren, indem sie mit Lichttherapie und dem körpereigenen Nacht-Signalstoff Melatonin der inneren Uhr einen klaren Takt vorgeben. Zwei bis fünf Milligramm Melatonin, eingenommen vor dem Zubettgehen, sollen die Umstellung erleichtern.

Auch Pharmakologen integrieren die Erkenntnisse der Chronobiologie mittlerweile in die Verabreichung von Medikamenten – was sich dann Chronopharmakologie nennt. Dadurch, dass sich die Biochemie des Körpers im Laufe von 24 Stunden erheblich ändert, haben Medikamente zu den verschiedenen Tageszeiten ganz unterschiedliche Wirkungen.

Bei der Chemotherapie gegen den Krebs beispielsweise gibt es mittlerweile programmierbare Infusionspumpen. Sie schütten ihre Gifte genau dann aus, wenn sich auf Kommando der inneren Uhr gerade wenig gesunde Zellen teilen. So können die Mediziner die Dosis erhöhen und besonders viele Tumorzellen vernichten, deren Teilungsaktivität vom biologischen Rhythmus unabhängig ist. Im Vergleich, sagen Experten, seien Chronotherapien um mindestens ein Fünftel wirksamer als tageszeitunabhängige Verfahren.

Tickt die innere Uhr falsch oder zu schwach, sind Schlafstörungen oft das erste Warnsignal. Experten raten dann, viel ans Tageslicht zu gehen, sich zu bewegen und tagsüber nicht zu schlafen. Und Nacht-Aktivitäten sind tabu.

Peter Spork gab zum Thema gerade ein Buch heraus: „Das Uhrwerk der Natur. Chronobiologie – Leben mit der Zeit“, rororo, 8,90 Euro.

Peter Spork

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