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Berlin: Tiefe Gräben

Seit einem Jahr leitet Gideon Joffe die Jüdische Gemeinde. Er ist umstrittener denn je.

Die Rabbiner gaben sich große Mühe, redeten auf die jüdische Gemeinschaft ein, beschworen sie. „Jedes Mitglied der Gemeinde ist ein Mensch, der akzeptiert werden will“, sagte Rabbiner Yehuda Teichtal. „Jeder bringt etwas Eigenes mit, nur wenn wir uns zusammentun, können wir Erfolg haben“, sagte Rabbinerin Gesa Ederberg. Es nutzte nichts. Gideon Joffe wurde in seinem Amt als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde mit Pfiffen und Buh-Rufen begrüßt. Seine Anhänger pfiffen und buhten zurück. Das ist jetzt genau ein Jahr her.

Die Zwietracht ist geblieben. Freunde stehen gegen Feinde, Aussagen gegen Aussagen. Verständigung ist kaum noch möglich. Auf der einen Seite stehen Joffe und die meisten seiner Gruppe „Koach“, mit der er vor zwölf Monaten eine satte Zweidrittelmehrheit gewonnen hat. Auf der anderen Seite steht die Gruppierung „Verantwortung jetzt“ um Joffes Vorgängerin Lala Süsskind, die die Wahl verloren hat. Es streiten Emporkömmlinge gegen Etablierte. Nur am Rande des Konflikts geht es um Religion, im Kern geht es um Geld und Ehre.

Seit Jahren kämpft die Gemeinde mit ihrer prekären Haushaltslage. Joffe brüstet sich damit, das strukturelle Defizit auf 600 000 Euro reduziert zu haben, in den Jahren zuvor lag es bei um die zwei Millionen, 2011 bei mehr als vier Millionen Euro. Er habe Anschaffungen verschoben, Sachmittel gebündelt, Anbieter gewechselt, manche Pförtnerdienste übernehmen jetzt Rentner statt Firmen von außen. „Alles Augenwischerei“ postet die Gegenseite auf ihrem Blog „gemeindewatch“, Joffe zahle Rechnungen nicht mehr, man möge doch bitteschön mal beim Sicherheitsdienst nachfragen, wie sich die Zahlungsmoral der Jüdischen Gemeinde entwickelt habe. Dazu will man dort nichts sagen, nur so viel: Der Senat zahle meistens noch später. Es sei nicht einfach, das Defizit zu vermindern, sagt Joffe. „Mit Plus läuft nur der Friedhof.“

Den Sparmaßnahmen ist auch Bewährtes zum Opfer gefallen. Die Integrationsabteilung musste von der Passauer Straße in Charlottenburg in die Oranienburger Straße umziehen und wurde Teil eines neuen „Familienzentrums“. Es hagelte Protest, da die Abteilung in Charlottenburg gerade für ältere Zuwanderer, von denen die meisten im Westteil der Stadt wohnen, besser zu erreichen war. Um Geld in die Kasse zu bekommen, will Joffe die Räume in der Passauer Straße vermieten. Den Caterer der Grundschule setzte Joffe vor die Tür, angeblich weil sich Eltern über das Essen beschwert hätten. „Was da abläuft in der Gemeinde, ist grotesk“, sagt der Geschäftsführer des Caterers. Von Beschwerden wisse er nichts.

Der Geschäftsführer der Gemeinde warf hin, Joffe ist mittlerweile Vorstandsvorsitzender, Geschäftsführer, Schul- und Personaldezernent in einem. Vor allem aber arbeitete er sich in den vergangenen zwölf Monaten an seinen Vorgängern ab, an Lala Süsskind und ihrem Vorstandsteam. Er wirft ihnen Misswirtschaft vor, Grundstücks- und Immobilienverkäufe seien nicht ausgeschrieben und die Immobilien unter Wert veräußert und vermietet worden – zum Schaden der Gemeinde. Es gab viele Interessenten, warum hätte man da ausschreiben sollen, heißt es aus den Reihen der Vorgänger, mehr sei für die maroden Häuser nicht rauszuholen gewesen, man habe immerhin über dem Wert verkauft, den externe Gutachter nannten.

Den jahrelang schwelenden Streit um zu hohe Betriebsrenten, die die Gemeinde bis vor Kurzem an ihre Mitarbeiter zahlte, hat Joffe erstmal beendet. Künftig werden die Gemeinde-Angestellten nur noch das bekommen, was auch das Land Berlin seinen Angestellten zahlt. Für neu eingestellte Mitarbeiter wurden die Zusatzleistungen gestrichen. Das Gemeindeparlament besteht darauf, erst noch zustimmen müsse. Joffe beharrt auf seinem Alleingang. Die bilanzielle Überschuldung bleibt der Gemeinde so oder so erhalten, da weiterhin Rückstellungen für die Renten gebildet werden müssen, die die Gemeinde bereits in wenigen Jahren erdrücken könnten. Eine Perspektive dafür hat keiner.

2012 war das Jahr der Beschneidungsdebatte. Joffe reagierte erst nach Wochen, was viele irritierte. Schließlich ist die Jüdische Gemeinde Berlin mit ihren 10 500 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde in Deutschland. „Die Sanierung der Gemeinde erfordert viel Energie“, sagt Joffe. „Das lässt mir keine Zeit, mich in politisch-gesellschaftliche Diskussionen einzumischen.“ Das wolle er aber in Zukunft ändern. Seine Gegner sammeln derweil Unterschriften für Neuwahlen. Claudia Keller

Claudia Keller

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