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Berlin: Tod der 66-jährigen Patientin – Seniorenverband rügt Klinik Entlassungen aus dem Krankenhaus: Leitfaden liegt längst vor, wird aber nicht von allen beachtet

Helga Walter war „empört und entsetzt“, als sie vom Tod im Rollstuhl der schwer kranken Ingrid K. erfuhr.

Helga Walter war „empört und entsetzt“, als sie vom Tod im Rollstuhl der schwer kranken Ingrid K. erfuhr. Es wäre so einfach gewesen, den tragischen Fall zu verhindern, sagt die 62-jährige ehemalige Sozialstadträtin von Köpenick. Wenn denn das Krankenhaus nach dem „Expertenstandard Entlassungsmanagement“ gearbeitet hätte. Helga Walter ist Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesseniorenvertretungen und befasst sich intensiv mit diesem Thema.

Der „Expertenstandard“ ist ein Leitfaden für Krankenhäuser, in dem Punkt für Punkt aufgeführt ist, was bei einer Entlassung eines Patienten zu beachten ist. Die schwer kranke Ingrid K. war, wie berichtet, am 2. Juli ins Krankenhaus gekommen. Fünf Tage später wurde die 66-Jährige wieder entlassen, ohne dass ihre Angehörigen oder der betreuende Pflegedienst darüber informiert worden war. Die Tochter fand Ingrid K. am 14. Juli tot im Rollstuhl sitzend – nach Polizeiangaben den Telefonhörer noch in der Hand.

Der „Expertenstandard Entlassungsmanagement“ wurde an der Fachhochschule Osnabrück vor mehr als zwei Jahren entwickelt. Die Bundesregierung hat dies mit Geldern gefördert. Seither haben 13 Krankenhäuser bundesweit diesen Leitfaden getestet. „In Berlin arbeiten die Vivantes-Kliniken und das Benjamin-Franklin-Klinikum damit“, sagt Helga Walter. Die Entlassung von Patienten sei schon lange von Experten als Problem erkannt worden. „Hier können viele Fehler passieren.“ Um das zu vermeiden schreibt der Expertenstandard vor: Schon bei der Aufnahme ins Krankenhaus müsse eine genaue Dokumentation über den Patienten angefertigt werden. Darin solle festgehalten werden, ob es Angehörige gibt und ob diese sich auch um den Patienten kümmern, oder ob dies von einem Pflegedienst erledigt wird.

Die Dokumentation über einen Patienten gehört in die Hände eines „Entlassungsmanagers“ – eines im Krankenhaus arbeitenden Sozialpädagogen, der mit der Versorgung der Patienten nach ihrer Entlassung betraut ist. „Bislang macht das in vielen Krankenhäusern der Sozialdienst“, sagt Walter. Doch die Fragebögen, die dort ausgefüllt werden, seien nicht so präzise und umfangreich, wie die im Expertenstandard vorgeschriebenen. „In unserem Leitfaden wird auch nach der Wohnumgebung gefragt“, sagt Walter. Sie zählt einige Beispiele auf: Ist der Patient nach der Entlassung gehbehindert? Muss die Wohnung also zwischenzeitlich umfunktioniert werden? Das könnten auch so simple Dinge wie spezielle Badewannen-Griffe sein, die der Patient künftig benötigen wird. Oder ob der Patient – wie im Fall der Toten – einen Notrufpieper besitzt. Zudem schreibe der Leitfaden vor, dass sich das Krankenhaus zwei Tage nach der Entlassung erkundigen muss, ob der Patient mit der Nachbetreuung zufrieden ist, ob alles geklappt hat.

„Es ist zwar ein wenig mehr Aufwand und es sind mehr Papiere auszufüllen, aber es sichert die Krankenhäuser selbst ab“, sagt Walter. Die Sozialexpertin appelliert an alle Klinikmitarbeiter, sich den von der Bundesregierung geförderten Leitfaden „zumindest einmal anzuschauen“. Besonders bitter empfindet sie die Auskunft aus dem Jüdischen Krankenhaus, es sei „ein Fehlverhalten unsererseits nicht zu erkennen“. Die Klinik arbeitet nach Angaben des Klinik-Chefs nach „eigenen, vom Pflegedienst erarbeiteten Standards“, aber nicht nach dem Osnabrücker Expertenstandard. Helga Walter sagt: „Auch wenn die Patientin gesagt hat, dass eine Schwester auf sie wartet: Krankenhausmitarbeiter dürfen sich nicht auf die Aussage der Patientin verlassen, ohne es zu kontrollieren.“ Der Expertenstandard schreibe vor, dass das Krankenhaus vor der Entlassung persönlich Kontakt zu den Angehörigen oder dem Pflegedienst aufnimmt. „Wenn keiner zu erreichen ist, dann darf man die Patientin noch nicht entlassen.“

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