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Berlin: Todschick unterwegs

Er lehnt sich lässig an seinen roten Leichenwagen. Manchmal gönnt sich Wolfgang Moser so eine Pose.

Er lehnt sich lässig an seinen roten Leichenwagen. Manchmal gönnt sich Wolfgang Moser so eine Pose. Sein Mercedes 123, Baujahr 65, strahlt im Sonnenschein. Die meiste Zeit lehnt sich Moser aber nicht an sein Auto, sondern liegt unter ihm. Auf dem Gelände des ehemaligen VEB Dampferzeugerbau in Lichtenberg hat sich der 35-Jährige seine Werkstatt eingerichtet. Denn irgendwas ist immer. Heute streikt zum Beispiel der rechte Blinker.

Als Flohmarkthändler brauchte Moser Mitte der 80er Jahre "ein cooles Auto, aber auch einen großen Kombi". Durch Zufall bekam der gebürtige Augsburger einen Leichenwagen angeboten - einen Mercedes 123. "Der war ideal: Da ging schließlich was rein." Und irgendwie, sagt Moser, sei er von den Autos nicht mehr losgekommen. Auf den Flohmärkten machte er damals Furore; der Effekt war enorm. Seitdem muss er sich Fragen anhören wie: "Sind in den Fahrzeugen auch wirklich Tote transportiert worden?" Er sagt dann immer: "Gestorben ist noch keiner drin." Mit schwarzen Messen, Teufelsanbetung hat er nichts am Hut. Mit seiner 60er-Jahre-Horn-Revival-Brille und den kurzen rotblonden Haare erinnert er eher an einen freundlichen Bankangestellten. Nur der Drei-Tage-Bart und die dunklen Fingernägel passen nicht so recht dazu.

Die Bastelei hat Moser vor drei Jahren zum Beruf gemacht. In Berlin handelt er mit Autos - Leichenwagen sind seine Spezialität. Er schweißt Bleche, repariert Aufbauten und schrubbt abends gegen die ölverschmierten Hände an. Ein Kampf, den er vermutlich verlieren wird. Die alte DDR-Werkshalle in Lichtenberg haben er und drei Freunde zufällig entdeckt und von der Bewag gemietet. Und dort stehen nun seine Schätze: unter anderem ein 30 Jahre alter Bestattungswagen von Fiat mit einem V6-Ferrari-Motor, ein sizilianischer Leichenwagen mit mafiöser Vorgeschichte, ein Ford Granada aus Thüringen und andere. Außerdem drei Londoner Taxis, zwei Krankenwagen und ein Maserati Bi-Turbo.

Beim sizilianischem Modell ist sich Moser sicher: "Mit dem sind schon einige Mafiosi in die Grube gefahren." Die Italiener mögen es gerne etwas rustikaler: mit einem Alu-Kreuz auf dem Wagendach. Und kitschiger: mit durchgehenden Fenstern, lila Cordhimmel im Laderaum und Lampen in Flammenform, die den Sarg umrahmen. Die Angehörigen begleiten den Leichenwagen bis zum Friedhof. Deshalb ist auf beiden Seiten eine Art Reling angebracht, die von den Trauernden gegriffen werden kann, wenn der Wagen rollt. Damit der Wagen überhaupt so langsam fahren kann, verfüge er über einen speziellen "Beerdigungsgang", sagt Moser. Also ein besonderes Getriebe, damit man ganz langsam, viel langsamer als im ersten Gang, fahren kann. Mit einem Hebel an der Mittelkonsole legt der Fahrer den Kriech-Gang ein. Dann geht es zum Friedhof. Dass der Sargraum komplett luftdicht vom Fahrerraum abgetrennt ist, versteht sich von selbst. Hier müffelt nichts.

Der Fiat mit dem Ferrari-Motor ist eine echte Rarität. Die 130 PS-Version von 1969 steht bei Moser zurzeit in der Halle. Den Wagen mit 180 PS hat er im vergangenen Jahr an einen Weißrussen verkauft, der sich selbstständig machen wollte - als Bestattungsunternehmer. Auf der Autobahn könne man mit der 180-PS-Version einen BMW rankommen lassen und dann mit dem Leichenwagen abziehen. "Die gucken nicht schlecht." Mosers 130-PS-Exemplar hat die Fahrgestellnummer 428. Also eines der ersten Fahrzeuge überhaupt. Das Auto fährt sich ganz normal, sagt er, verbraucht aber fast 20 Liter.

Von einem Schreiner aus Thüringen hat Moser einen Ford Granada gekauft. Der Mann war im Nebenberuf Bestatter. Nicht ungewöhnlich, sagt Moser: "Schreiner kommt von Schrein, also Sarg, machen."

Dass man ihm in Friedrichshain an diesem Wochenende schon wieder den Stern von der Motorhaube geklaut hat, wird langsam lästig. "Nach nur zwei Wochen", grummelt der 35-Jährige, "das ist Negativrekord."

Mit seiner Freundin hat er den Sommerurlaub schon geplant: Nach Dänemark oder Schweden soll es gehen. In der "Leiche" werden beide übernachten. Bleibt nur noch die Frage: Nimmt man die Luft- oder die Federkernmatratze mit? Platz ist reichlich vorhanden.

Jürgen Bosenius

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