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Berlin: Tödliche Langsamkeit

Ein Mann wurde erschossen, weil Polizei zu lange brauchte: Das soll jetzt untersucht werden. Schadensersatz für Familie denkbar

Von Sabine Beikler

Bereits am 5. April hatte der 50-Jährige Naim C. bei der Polizei Strafanzeige gegen seinen 45-jährigen Schwager Yalzin S. erstattet. Mehrfach hatte der ihn zuvor mit einer Waffe bedroht. Doch erst Anfang Mai schloss die Polizei den Vorgang ab und übergab ihn der Staatsanwaltschaft, damit diese einen Durchsuchungsbefehl beantragt. Zu spät: Just an diesem Tag, dem 4. Mai, wurde Naim C. von seinem Schwager erschossen.

Polizeipräsident Dieter Glietsch gab am Wochenende, wie berichtet, Fehler bei den Ermittlungen zu und entschuldigte sich bei den Angehörigen des erschossenen Mannes für Versäumnisse der Polizei. Der 50-jährige Türke hatte den Beamten nämlich nicht nur von den Bedrohungen erzählt, sondern auch gemutmaßt, sein Schwager sei psychisch krank. „Es hätte eine sofortige Prüfung zur Gefahrenabwehr erfolgen müssen“, sagte Glietsch gestern im Innenausschuss. Im Klartext: Die Beamten hätten den sozialpsychiatrischen Dienst und/oder die Waffenbehörde beim Landeskriminalamt einschalten müssen.

Yalzin S. war als Sportschütze registriert. Wenn sich jemand als nicht geeignet erweise, eine Waffe zu führen, „kann ihm mit sofortiger Wirkung die Waffe entzogen werden“, sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD). CDU-Innenpolitiker Frank Henkel sprach von einem „sinnlosen Tod“. Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann und FPD-Innenpolitiker Björn Jotzo forderten Konsequenzen, damit so ein tragischer Fall nicht mehr passiere.

Warum die Anzeige von Naim C. „nicht mit der gebotenen Schnelligkeit verfolgt wurde“, wird laut Glietsch jetzt geprüft. Und selbstverständlich werde die „Frage der Verantwortung dienstrechtlich geklärt“. Glietsch schloss auch strafrechtliche Konsequenzen nicht aus.

Dass der Staat zugibt, falsch gehandelt zu haben, ist selten genug. Es kann Opfern und ihren Angehörigen eine Vorlage bieten, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Im deutschen Recht gilt die Regel: Der Staat haftet für seine Beamten. Das heißt: Wer einen Schaden erleidet, weil jemand bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes etwas falsch gemacht hat, kann diesen Schaden vom Staat ersetzt verlangen.

Das ergibt sich aus Artikel 34 des Grundgesetzes in Kombination mit Paragraf 839 BGB. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass ein Amtsträger seine Entschlusskraft verliert, weil er sich vor negativen Folgen fürchtet. Hat der Beamte aber grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich den Schaden angerichtet, kann der Staat ihn in Haftung nehmen.

So weit die Regel. Im Einzelnen hat das Staatshaftungsrecht aber viele Tücken. Knifflig ist zum Beispiel der Schadensumfang: Der Geschädigte ist eigentlich so zu stellen, wie er ohne die Amtspflichtverletzung stünde. Naim C. aber ist tot. In Frage kommen höchstens seine Angehörigen als Geschädigte. Sie müssten nun belegen, welche Einkünfte ihnen durch seinen Tod entgangen sind – zum Beispiel sein Einkommen, wenn er der Ernährer der Familie war.

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