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Die wegen Mordes angeklagten Marvin N. (2.v.l.) und Hamdi H. (5.v.l.) Anfang September 2016 in einem Verhandlungssaal in Moabit.

© Paul Zinken/dpa

Tödliches Autorennen in Berlin: Psychologin untersucht den Ku'damm-Raser

Hamdi H. ist angeklagt, bei einem illegalen Autorennen auf der Berliner Tauentzienstraße einen Menschen getötet zu haben. Mindert Selbstüberschätzung seine Schuld?

Einer der Sportwagenfahrer, die als "Raser vom Ku’damm" bekannt wurden, hat sein Schweigen gebrochen. Das ist zwar nicht in dem seit vier Monaten laufenden Prozess wegen Mordes geschehen, aber gegenüber einer Fachpsychologin für Verkehr. Nun wird mit Spannung das Gutachten der Expertin aus der Schweiz zum Angeklagten Hamdi H. erwartet. Der 27-Jährige soll sich mit dem weiteren Angeklagten Marvin N. ein spontanes Autorennen über die Tauentzienstraße geliefert haben. Bis Hamdi H. in einen unbeteiligten Geländewagen preschte. Dessen 69-jähriger Fahrer starb.

Es ist ein Prozess, der einen Präzedenzfall schaffen könnte: Verfahren nach illegalen Rennen mit tödlichem Ausgang führten bislang zu Schuldsprüchen wegen einer fahrlässigen Tat. Im Falle von H. und N. aber geht die Anklage davon aus, dass sie tödliche Folgen billigend in Kauf genommen hätten, um bei einem "Stechen" zu siegen und sich "Selbstbestätigung" zu sichern.

Vorsatz oder Fahrlässigkeit?

Bedingter Vorsatz? Oder doch eine Fahrlässigkeit? Die Verkehrspsychologin Jaqueline Bächli-Biétry aus der Schweiz wurde auf Antrag der Verteidigung von H. eingeschaltet. "Wir sind gespannt", stimmten die Richter zu. In der Regel kommen die Verkehrspsychologen zu Wort, wenn Autofahrer zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung müssen – dem "Idiotentest".

Nun aber geht es um Gedanken und Gefühle des Autofahrers Hamdi H. und die Frage, wie sich diese auf einen Schuldspruch auswirken könnten. Für H. war sein hochtouriger Wagen wohl mehr als ein Statussymbol. Zeugen sprachen von einem "besonderen Fahrstil" des 27-Jährigen. "Jeder wusste, dass er sehr gut sehr schnell fahren kann", beschrieb eine Frau. Man habe H. auch "The Transporter" genannt – in Anlehnung an einen Actionfilm. "H. hatte seinen Ruf weg."

Die Anklage geht von einer Tat aus niedrigen Beweggründen aus

Die Expertin wird sich nun mit der Frage befassen: War H. aufgrund seines fahrerischen Könnens und einer fest verwurzelten Selbstüberschätzung der Meinung, er würde von Unfällen verschont bleiben? Sollte die Psychologin zu diesem Schluss kommen, könnte das aus Sicht der Verteidiger den von ihnen angestrebten Schuldspruch wegen einer fahrlässigen Tötung – statt wegen Mordes – stützen. Die Höchststrafe läge dann bei fünf Jahren Haft. Möglich wäre zudem ein Entzug der Fahrerlaubnis – lebenslang.

Oder war es dem verkehrsrechtlich schon mehrfach vorbelasteten H. für den Sieg gegen einen anderen Möchtegern-Rennfahrer egal, ob anderen Verkehrsteilnehmern etwas geschehen würde, raste er ohne Rücksicht auf Verluste? War er ein Vorsatztäter? Die Anklage geht von einer Tat aus niedrigen Beweggründen und mit dem Auto als gemeingefährlichem Mittel aus. Lebenslange Haft droht.

Der Fahrer des Geländewagens hatte keine Chance. Er starb noch am Unfallort.

Es war ein Unfall, bei dem das Opfer keine Chance hatte. Es war 0.40 Uhr, als am 1. Februar 2016 ein Jeep an der Tauentzienstraße auf die Kreuzung rollte. Die Ampel stand auf Grün. Fahrer Michael W. war fast zu Hause. Doch die PS-starken Sportwagen näherten sich rasend. Hamid H. aus Moabit, arbeitslos und im weißen Audi A6 TDI unterwegs, gegen den 24-jährigen Marvin N. aus Marzahn, Fahrer eines weißen Mercedes AMG CLA 45. 225 PS gegen 381 PS. Die Raser sollen sich kurz zuvor an einer roten Ampel mit ein paar Worten oder Blicken auf ein illegales Straßenrennen über den Ku’damm verständigt haben.

Hamdi H., der laut Unfallgutachter nicht angeschnallt war, soll mit 160 bis 170 Stundenkilometern gefahren sein, Marvin N. mit einem Tempo von etwa 140. Bis der Audi in den Jeep des 69-jährigen Michael W. einschlug, der aus der Nürnberger Straße kam. Der Sportwagen bohrte sich in die Fahrertür des Jeeps und schleuderte den Wagen mehr als 70 Meter weit. W. starb noch am Unfallort.

Der tödliche Unfall kurbelte die Debatte um härtere Strafen für illegale Autorennen an. Sie sind bislang als Ordnungswidrigkeit eingestuft, die mit 400 Euro Buße und einem Monat Fahrverbot geahndet wird. Im Mordprozess vor dem Berliner Landgericht argumentierten Verteidiger, der Vorsatz, an einem Rennen teilzunehmen, sei mit einem Tötungsvorsatz nicht gleichzusetzen. Was Hamdi H. der Verkehrspsychologin sagte und zu welchen Schlüssen die Expertin kommt, wird sie voraussichtlich am 26. Januar vortragen.

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